Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Rebellin

Die Rebellin

Titel: Die Rebellin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Peter Prange
Vom Netzwerk:
hatte sie in der
Times
gelesen und fand sie zum Teil sogar berechtigt, doch jetzt, als sie die Parolen aus dem Mund dieses Mannes hörte, liefen ihr kalte Schauer über den Rücken.
    »Freiheit und Gleichheit, dafür kämpfen wir, und wenn es unser Leben kostet! Aber ich schwöre euch, wir werden siegen! JedeUnterschrift, die wir dem Parlament präsentieren, ist ein Schlag ins Gesicht unseres Feindes, ein Messerstich in sein blutendes Herz.«
    Noch nie hatte Emily einen Menschen so reden hören. Manchmal säuselte O’Connor wie ein Franzose, dann wieder polterte er wie ein Stallknecht, um im nächsten Moment loszubrechen wie ein Stier, der das rote Tuch vor sich sieht, schlug mit der Hand auf das Rednerpult und stampfte mit den Füßen auf. Während seine Stimme immer lauter über den Platz donnerte, griff er mit beiden Händen in die Luft, als würde er jemanden an der Gurgel packen, und schüttelte sein rotes Löwenhaupt, wie ein Raubtier, das seine Beute schüttelt. Die Sätze wurden kürzer, stoßweise drangen sie aus seiner mächtigen Brust, immer wilder trommelte er auf sein Pult, sein Gesicht wurde blass, seine Glieder zitterten, seine Empörung flutete über den Platz und türmte sich zu einer gewaltigen Woge auf, die alles vor sich niederwarf, zerkrachte und zersplitterte.
    »Zwei Millionen Stimmen«, verkündete er, die rechte Hand wie ein Imperator erhoben, als ein Helfer den letzten Korb auf das Podium brachte. »Und wehe, ihr Strolche, ihr Schurken, wenn ihr uns unser Recht verwehrt. Unser Zorn wird über euch kommen wie ein Strafgericht! Mit Blitz und Donner, Schwertern und Kugeln!«
    Applaus brandete auf, steigerte sich zum frenetischen Jubel, bis der ganze Platz wie ein Kessel zu brodeln anfing. Männer brachen in Freudentränen aus, Frauen drängten zur Tribüne, reckten O’Connor ihre Leiber entgegen, um einen Zipfel seines Anzugs zu berühren. Ein Stoß warf Emily fast um. Ein paar Bierkutscher hatten in ihrer Nähe einen Polizeispitzel entdeckt, einen kleinen dicken Mann mit Zylinder. Wütend fielen sie über ihn her und warfen ihn auf einen Mistkarren, der herrenlos neben einer Tränke stand.
    Entsetzt wich Emily zurück. Da packte sie jemand am Arm.
    »Gott sei Dank, da bist du ja.«
    Vor ihr stand Victor und sah sie mit seinen dunklen Augen an. »Gott sei Dank, dass
du
da bist«, sagte Emily. Selten war sie so erleichtert gewesen.
    »Hast du Angst gehabt?«, fragte er.
    »Und ob!« Sie zeigte auf die Tribüne, wo O’Connor immer noch Hunderte von Händen drückte. »Der Mann ist ja gefährlich.«
    Victors Gesicht verhärtete sich. »Hoffentlich!«, sagte er.
    »Hoffentlich?«, wiederholte Emily.
    »Ja«, sagte Victor. »Wenn die Verbrecher, die die Gesetze machen, keine Angst vor uns haben, werden wir nie unsere Rechte bekommen. Feargus O’Connor macht ihnen die Hölle heiß, und das ist gut so!«
    »Bist du verrückt? Ein Brandstifter ist das! Er hat seine Zuhörer offen zur Gewalt aufgehetzt, und die haben einen harmlosen Mann verprügelt – einfach so!«
    »Meinst du den Spitzel?«, fragte Victor verächtlich. »Der hat nur gekriegt, was er verdient.«
    »Ich kann nicht verstehen, dass du so redest. Ein Mensch ist ein Mensch, egal, was er sonst noch ist.« Emily schüttelte den Kopf und sah Victor an. »Oder gehörst du etwa zu diesen Leuten?«
    Victors Augen verengten sich, und die Muskeln seiner Kiefer traten so stark hervor, dass sich die einzelnen Stränge auf seinen Wangen deutlich abzeichneten. Für einen Moment sah er aus wie ein Raubtier, und er machte Emily fast so viel Angst wie eben noch Feargus O’Connor. Aber dann entspannten sich seine Züge und er lächelte sie an.
    »Komm«, sagte er, »gehen wir hier weg, das ist nichts für dich.«
    »Ja, vielleicht hast du Recht.«
    »Magst du Schokolade?« Er zückte einen Schilling, warf ihn in die Luft und fing ihn wieder auf.
    »Schokolade? Wie kommst du jetzt darauf?«
    »Ich kenne ein Café, nicht weit von hier, das müsste dir gefallen. Da können wir uns in Ruhe die Druckfahnen anschauen und alles besprechen.«
    Bei der Erwähnung der Druckfahnen spürte Emily einen Stich. Das war der Augenblick, um ihm die Wahrheit zu sagen – dass seine Arbeit nicht mehr gebraucht wurde. Aber wie sollte sie das tun? Der Schilling war vielleicht sein ganzer Wochenlohn, und er wollte sie einladen. Bevor ihr etwas Gescheites einfiel, hatte er sich schon abgewandt und ging voraus.
    Während O’Connor mit lauter Stimme die Demonstranten

Weitere Kostenlose Bücher