Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Rebellin

Die Rebellin

Titel: Die Rebellin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Peter Prange
Vom Netzwerk:
mal die Klappe halten?«
    »Warum denn? Wird höchste Zeit, dass ich Bescheid weiß. Robert meint, ich wäre längst überfällig.« Toby schielte ihn von der Seite an. Dann ging ein so breites Grinsen über sein Gesicht, dass sich die Zahl seiner Sommersprossen zu verdoppeln schien. »Sag mal, bist du etwa verliebt?«
    Ein Kübel Jauche, den jemand aus einem Fenster goss, ersparte Victor die Antwort. Während er fluchend auf die andere Straßenseite wechselte, beschleunigte er seinen Schritt. Er hatte nur noch eine Viertelstunde Zeit.
    Ob Emily schon auf ihn wartete? Er ahnte, warum sie den Theaterplatz vorgeschlagen hatte. Das Theater gehörte zu ihrer Welt, zur Welt der feinen Leute, und trotzdem war es nur einen Steinwurf von der Drury Lane entfernt. Hoffentlich bekam sie keine Angst – heute würde es auf dem Platz anders aussehen als sonst, er würde voller Menschen sein, wütender und betrunkener Menschen. Würde er sie in dem Chaos überhaupt finden? Für eine Sekunde sah er Emily vor sich – splitternackt in einer aufgebrachten Menge. Die Vorstellung erregte ihn so sehr, dass er kaum weiterlaufen konnte.
    »Wie viele Unterschriften haben wir eigentlich?«, fragte Toby.
    »Was für Unterschriften?«
    »Die Liste, die angeblich so wichtig ist.«
    »Ach so. Zweiundzwanzig.« Victor gab ihm die Rolle, die er die ganze Zeit schon in der Hand hielt.
    »Mehr nicht?« Toby war enttäuscht. »Meinst du, dass sich die Mühe überhaupt lohnt? Robert sagt, die Politiker würden die Unterschriften einfach in den Papierkorb werfen.«
    »So große Papierkörbe gibt es gar nicht. Unsere Unterschriften sind ja nicht die einzigen.«
    »Und wenn sie O’Connor zum Teufel jagen?«
    »Das werden sie nicht wagen.«
    Toby strahlte über das ganze Gesicht. »Weißt du, was ich als Erstes tue, wenn wir in O’Connorville sind?«
    »Bratfisch verkaufen?«
    »Wie hast du das erraten?«
    Den Rest des Weges redete nur noch Toby. Seine Bratfischbude in O’Connorville war sein Lieblingsthema. Er kannte jeden Bratfischverkäufer von London und hatte sich gründlich informiert. Das Kapital, das er für seinen Stand brauchte, belief sich auf zehn Schilling. Dafür bekam er eine Bratpfanne, ein Tablett, einen Salzstreuer und vor allem eine gestreifte, rundherum geknöpfte Barchentjacke, wie sie seine Idole auf dem Großmarkt von Billingsgate trugen. Darin würde er so leckeren Fisch braten, dass Feargus O’Connor dreimal am Tag an seinen Stand kommen würde, um bei ihm zu essen.
    »Am wichtigsten ist die Zubereitung. Zuerst muss man den Fisch waschen und ausnehmen. Dann schneidet man die Flossen, den Kopf und den Schwanz ab und wälzt den Rest in Mehl. Zum Braten nehme ich übrigens nur helles Rapsöl, auf keinen Fall Lampenöl, wie die Gauner in Covent Garden. Du wirst sehen, damit mache ich ein Vermögen!«
    Als sie das »Krähennest« verließen, war Toby Herr eines Imperiums von mehreren Dutzend Bratfischbuden und General einer Armee von Verkäufern.
    »Dann bringe ich jetzt mal die Unterschriften weg«, sagte er. Doch er war noch keine fünf Schritt weit gekommen, da drehte er sich noch mal um. »Bevor ich’s vergesse – für unsere Kasse!«
    Er warf eine Münze durch die Luft. Victor fing sie mit der Hand auf.
    »Ein ganzer Schilling?«, staunte er. »Woher hast du so viel Geld?«
    »Geschäftsgeheimnis!«, zwinkerte Toby ihm zu. »Aber nicht für Weiber ausgeben, hörst du?«

17
     
    »Sag mir, was soll ich tun?«
    Die Weisheit vieler hundert Jahre blickte Emily an, aus zwei schwarzen, kleinen Augen, die in ledrigen Runzeln verborgen waren. Wie immer, wenn sie nicht weiterwusste, zog sie ihre uralte Schildkröte zu Rate. Falls Pythia in den nächsten fünf Minuten die Salatblätter fraß, die sie ihr ins Terrarium gelegt hatte, würde sie zum Drury-Lane-Theater fahren. Sollte Pythia aber die Blätter verweigern, würde sie zu Hause bleiben und Victor einen Brief schreiben.
    Emily drehte ihre Sanduhr um und wartete voller Anspannung ab, was die Schildkröte tat. Sie wusste selbst nicht, warum sie einem stummen, sprachlosen Tier vertraute. Natürlich konnte Pythia nicht besser denken als ein Mensch, sie wusste ja nicht einmal, worum es überhaupt ging. Aber vielleicht war sie gerade darum so klug? Schildkröten wussten ja auch nicht, dass die Sonne ihre Eier ausbrütete, und doch gruben sie, einfach ihrem Instinkt folgend, Löcher für ihre Brut in die Erde und verscharrten die Eier darin, um dann geduldig darauf zu warten, dass

Weitere Kostenlose Bücher