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Die Rebellin

Die Rebellin

Titel: Die Rebellin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Peter Prange
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Handgelenk, dass es schmerzte.
    »Wohin willst du? Du hast doch noch gar nichts gesehen. Oder muss ich mich schämen?«
    »Ich halte es hier nicht aus«, stammelte sie, kaum fähig zu sprechen.
    Verborgen in der Dunkelheit, stöhnte irgendwo eine Frau, ein langes, gleichmäßiges Keuchen, wie von starkem Schmerz oder verbotener Lust.
    »Hörst du das?«, fragte Victor. »Ich glaube, da kriegt jemand ein Kind. Willst du zusehen? Wie früher bei Nelly?«
    »Bitte, Victor. Ich will weg! Bring mich weg!«
    Doch er dachte nicht daran. Während er ihr ins Gesicht schaute, verengten sich seine Augen zu zwei Schlitzen. Ohne seinen Griff zu lockern, sagte er mit leiser, gefährlicher Stimme: »Jetzt kannst du beweisen, wer du bist.«
    Als Emily diese Augen sah, begann sie am ganzen Leib zu zittern. Ja, auch er gehörte zu diesen Leuten, war einer von ihnen … Plötzlich spürte sie nur noch Angst und Panik und Entsetzen. Der Mensch, der vor ihr stand, war nicht Victor, ihr Jugendfreund – das war ein wildfremder Mann! Mit ihrer ganzen Kraft riss sie sich los und rannte davon, unter dem Lachen und Rufen der Höllenbewohner, das sie bis auf die Straße verfolgte.Draußen lief Emily einfach los, egal wohin, nur fort von diesem Ort! Ein paar Minuten später gelangte sie an eine Kreuzung, ohne zu wissen, aus welcher Richtung sie gekommen war. Als sie einen Konstabler sah, der an der Straßenecke patrouillierte, schossen ihr die Tränen in die Augen. Wie ein Kind lief sie zu ihm und bat ihn um Hilfe.
    Der Polizist brachte sie zum Drury-Lane-Theater zurück. Nur noch das Podium und die Abfälle erinnerten an die Versammlung der Chartisten, die hier stattgefunden hatte. Wann war das gewesen? Vor einer Stunde? Vor einer Ewigkeit? In dem Gebäude gingen gerade die Lichter an, und ein Trupp Straßenkehrer schwärmte aus, um den Vorplatz vom Dreck zu reinigen. Emily warf sich in ein Cabriolet, das vor dem Theater stand, und rief dem Kutscher die Adresse ihrer Stadtwohnung zu.
    In ihrer Hand zitterte ein Bündel Papier: die Druckfahnen, dieVictor ihr irgendwann gegeben hatte. »Nein!«, rief sie. »Bringen Sie mich zum Bahnhof! Euston Station!«

18
     
    Victor schloss die Augen, damit er Fannys Blick nicht sah, der ihr Gesicht in der Dunkelheit leuchten ließ wie der Schein einer Kerze.
    »Nimm mich«, flüsterte sie, »ich gehöre dir …«
    Ein Seufzer entwand sich ihrer Brust, als er in sie drang. Warm und feucht umfingen ihre Lippen sein Fleisch, ein inniger Kuss ihres Leibes. Ohne ihre Zärtlichkeit zu erwidern, stieß er zu, hart und brutal, allein im Dunkel seiner Wollust, die nichts sah außer der Bereitschaft dieser Frau, die nichts hörte außer dem Atmen ihrer Kehle, die nichts roch außer dem Geruch ihres Schweißes, die nichts schmeckte außer dem Salz ihrer Haut, die nichts fühlte außer diesem warmen, feuchten Schlund, in dem er sich tiefer und tiefer verlor. Er wollte keine Liebe, er wollte nur ihren Körper, um seine Notdurft zu verrichten, während er wieder und wieder zustieß, um an das Ende dieses Schlundes zu gelangen, der ihn saugend und pulsierend immer weiter in sich hinabzog. Und dann war er endlich da, am schwarzen Grund des Vergessens, doch kein Schrei löste sich in seiner Seele, um seine Lust hinauszuschleudern. Seine Lust und seine Wut und seine Verletzung.
    »Was hast du?«, fragte Fanny, als er sich von ihrem Lager erhob.»Hab ich was falsch gemacht? Die anderen stöhnen und grunzen, wenn sie so weit sind.«
    »Wo ich war, wurde man ausgepeitscht, wenn man das tat.«
    Fanny verstand nicht, wovon er redete. Er warf ihr den Schilling zu, den Toby ihm gegeben hatte.
    »Du kannst den Rest behalten!«
    »Oh, das ist aber großzügig, mein Schatz!«
    Während sie eilig die Münze unter der Matratze verschwinden ließ, hob er seine Kleider vom Boden.
    »Wohin gehst du?«, fragte sie, als er sich anzog. »Wenn du willst, kannst du die Nacht bei mir bleiben. Bei einem Schilling ist das im Preis inbegriffen.«
    »Heute nicht«, sagte er.
    Sie streckte die Hand nach ihm aus, doch Victor nickte ihr nur einmal zu, bevor er das Zimmer verließ.
    In der Druckerei brannte noch Licht, als er wenig später die Werkstatt betrat. Mr. Finch wartete auf ihn.
    »Sag schon, wie viele Exemplare sollen wir drucken?«
    »Gar keine«, erwiderte Victor.
    »Was heißt das?«, fragte Mr. Finch und stierte ihn mit glasigen Augen an.
    »Es gibt keinen Auftrag mehr. Der Kunde hat gekniffen.«
    »Aber wir haben schon einen Bogen

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