Die Rebellin
würde es morgen regnen, dachte er und machte sich auf den Weg zum Haus, das sich wie ein schwarzer Zyklop in der Ferne erhob.
Im ersten Stock war ein einzelnes Fenster erleuchtet. Sarah wartete noch auf ihn. Es wäre ihm lieber gewesen, sie würde schon schlafen.
Als er den Kiesweg betrat, sah er durch die Glaswand Emily im Innern des Gewächshauses. Sie hatte einen Block auf den Knien und zeichnete.
Er hob die Hand, um ihr zu winken, doch sie war so sehr in ihre Arbeit vertieft, dass sie ihn nicht sah. Sie hatte ihn und seine Sorgen schon wieder vergessen.
11
Der verwinkelte Hinterhof zwischen Brill Place und Chapel Street, in den Robert einbog, schien der perfekte Ort für einen kleinen, gemütlichen Rattenkampf zu sein. Toby atmete auf. Endlich, zum ersten Mal an diesem verfluchten Abend, hatte er das Gefühl, sich wieder auszukennen. Die dunklen Gestalten, die gerade in einem alten Schuppen verschwanden, klimperten schon mit den Münzen in ihren Taschen, und Punch begann unruhig an der Leine zu zerren. Doch statt zu dem Schuppen ging Robert zum Hintereingang eines der Häuser, die den Hof umgaben.
»Wo willst du hin?«, fragte Toby irritiert.
»Die Ware abliefern.«
»Hier? Du hast doch gesagt, das Zeug ist für die Werkstatt.«
Robert lachte. »Werkstatt ja, aber nicht die von Mr. Finch.« Er öffnete eine Tür und stieß Toby hinein. »Halt jetzt dein Maul und mach schon. Wir werden erwartet.«
Im Treppenhaus stank es nach faulem Fisch. Widerwillig ging Toby voraus, während Robert mit seiner Dogge folgte. Mit jeder Stufe wurde ihm mulmiger zumute. Seit Robert ihn vor dem Arbeiterclub abgepasst hatte, wusste Toby nicht mehr, was mit ihm geschah. Robert hatte ihn zu drei Apotheken gebracht, wo Toby verschieden große Flaschen mit Chemikalien hatte kaufen müssen, angeblich zur Reinigung der Druckpresse. Doch warum zum Teufel hatte er das nicht selbst erledigt, statt draußen vor den Apotheken zu warten? Und warum hatte er versprochen, für eine so einfache Besorgung Toby alle Schulden zu erlassen? Noch seltsamer aber war, dass Robert ihm jedesmal aufgetragen hatte, bei der Registrierung der Flaschen dem Apotheker Victors Namen und Adresse zu nennen, damit er und sein Freund später das Pfand kassieren konnten. Das war nicht gerade Roberts Art. Vor einer Tür im zweiten Stock blieb Robert stehen und klopfte. Dreimal kurz, zweimal lang. Punch knurrte leise.
»Ah, Monsieur Robert! Wie schön, Sie zu sehen.
Bonsoir!
Und einen Gehilfen haben Sie auch mitgebracht?
Enchanté!
«
Ein schlanker, blonder Mann mit aufwärts gedrehtem Schnauzbart und ausländischem Akzent, den Robert mit »Monsieur Pierre« ansprach, ließ sie in eine große, helle Kammer eintreten. Toby staunte. Ein so sauberes und aufgeräumtes Zimmer hatte er lange nicht mehr gesehen. Außer einer frisch gemachten Bettstelle mit schneeweißem Bettzeug erblickte er eine lackierte Seekiste und einen Mahagonistisch, auf dem eine emaillierte Wanne und eine Keramikschüssel standen.
»Habt ihr alles bekommen?«
»Ja,«, antwortete Robert. »Alles, was Sie aufgeschrieben haben.«
»Das heißt, wir können gleich beginnen? Wunderbar! Wenn Sie und Ihr reizender Hund vielleicht dafür sorgen könnten, dass wir ungestört bleiben? Ich wäre Ihnen sehr dankbar.«
Toby staunte, wie beflissen Robert den Anweisungen dieses seltsamen Mannes folgte – es fehlte nur, dass er sich wie die Ladenschwengel in der Regent Street verbeugte und die Hacken zusammenschlug.
»Nun,
mon ami
, dann wollen wir mal«, sagte Monsieur Pierre, als sie allein waren, und rieb sich die Hände. Dann nahm er Toby die Flaschen ab und stellte sie auf den Tisch zu der Wanne und der Schüssel. »Ich habe gehört, du bist ein großer Liebhaber, fast wie ein Franzose. Bravo! Aber bist du auch mutig?«
»Ich … ich weiß nicht«, erwiderte Toby unsicher, während Monsieur Pierre die Flaschen auf dem Tisch ausrichtete und die Etiketten inspizierte wie ein Feldwebel die Uniformen seiner Rekruten. »Es … es kommt darauf an.«
»Ah, da mache ich mir keine Sorgen. Nichts ist so gefährlich wie die Liebe, und wer bei den Frauen Mut hat, der kneift auch sonst nicht den Schwanz ein.« Kichernd zog Monsieur Pierre sich den Rock seines Anzugs aus und krempelte die Ärmel seines weißen Hemdes hoch. Während er seine Hände in die mit Wasser gefüllte Wanne tauchte, erklärte er über die Schulter: »Wir wollenjetzt zusammen ein Süppchen kochen. Mein alter Freund und Kollege aus
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