Die Rebellin
Paris, Dr. Sobrero, hat das Rezept vor drei Jahren in der Küche von unserem lieben Professor Pelouse erfunden, eine höchst pikante Komposition,
oh là là
, von erstaunlicher Wirkung.«
»Eine Suppe, Sir?« Toby verstand überhaupt nichts mehr, er hatte nur noch das Bedürfnis, diesen Raum so schnell wie möglich zu verlassen. »Wenn ich ehrlich bin, ich habe überhaupt keinen Hunger.«
»Was für ein charmantes
malentendu!
Aber nein, die Suppe ist nicht zum Essen – sie würde fürchterliche Blähungen machen.« Monsieur Pierre lachte laut auf, wie über einen guten Witz. Dann aber wurde er ernst. »Du musst wissen, unser Süppchen ist nicht ganz ungefährlich. Es heißt Nitroglyzerin, und wenn man beim Kochen nicht aufpasst – puff!« Er machte eine Bewegung, als würde er einen Ball in die Luft werfen. »Dabei sind mehr Freunde von mir umgekommen, als die französische Polizei bei der Revolution erschossen hat.«
Toby spürte, wie ihm der Schweiß ausbrach. Zwar hatte er immer noch keine Ahnung, was der Fremde mit ihm vorhatte, doch begriff er genug, um eine Höllenangst zu bekommen. Waren die Besuche bei Fanny es wert, dass er jetzt hier bei diesem verrückten Franzosen sein musste, statt mit Victor Goldgräbergeschichten aus Kalifornien anzuhören? Monsieur Pierre sprudelte nur so vor guter Laune. Mit seinem komischen Akzent, den Toby manchmal kaum verstand, redete er in einem fort, während er unter dem Tisch einen Eimer zutage förderte und daraus gestoßenes Eis in die Wanne schüttete. Danach wischte er die Keramikschüssel mit einem Tuch aus und stellte sie behutsam in das Becken, wobei er darauf achtete, dass kein Tropfen Wasser in die Schüssel überlief.
»Jetzt wollen wir mal sehen, wie tüchtig du bist.« Monsieur Pierre band sich ein Tuch vors Gesicht und forderte Toby auf, dasselbe zu tun. Anschließend öffnete er drei Flaschen, schütteteden Inhalt der beiden größeren in die Schüssel und reichte Toby einen gläsernen Stab. »Damit musst du immer fleißig rühren, um unser Süppchen hübsch kühl zu halten. Sonst kocht es schneller über, als uns lieb ist«, fügte er hinzu und leerte die dritte Flasche in die Schüssel. »Na los, worauf wartest du? Fang an!« Ohne zu überlegen, gehorchte Toby und tat, was Monsieur Pierre ihm gesagt hatte. Gleich darauf stiegen beißende Dämpfe aus der Schüssel auf, die ihm trotz des vorgebundenen Tuchs fast den Atem verschlugen.
»Was … was ist das?«, fragte er.
»Keine Angst,
mon ami
, nur Salpetersäure und Schwefelsäure. Das ist noch nicht besonders gefährlich.«
Während Toby weiterrührte, hatte er das Gefühl, dass es in der Kammer immer wärmer wurde. Kam das von den Dämpfen oder von seiner Angst? Als die dritte Flasche leer war, deckte Monsieur Pierre die Schüssel mit einer Glasplatte ab, gab weiteres Eis in die Wanne und machte das Fenster auf, um den Qualm abziehen zu lassen.
»Sind wir fertig?«, fragte Toby.
»Nein, nein, das Beste kommt noch. Die Säuren müssen nur ein bisschen abkühlen.« Monsieur Pierre öffnete eine weitere Flasche, die kleinste auf dem Tisch. »Glyzerin, sozusagen das Salz in der Suppe. Damit bekommt sie erst die richtige Würze.« Mit einem Trichter und einer Tasse maß er ein Quantum von der Flüssigkeit ab und füllte es in eine saubere Flasche. »Du hast dich vielleicht gewundert, warum ihr die Sachen in verschiedenen Apotheken gekauft habt? Nur eine Vorsichtsmaßnahme. Damit keiner merkt, was wir hier brauen. Die Polizei ist in London genauso neugierig wie in Paris.« Er überprüfte noch einmal das Maß in der Flasche, dann nickte er Toby zu. »Wenn ich das jetzt in die Schüssel gebe, musst du wieder rühren, hörst du? Aber ganz, ganz langsam und ganz, ganz gleichmäßig, sonst muss deine Freundin sich morgen ein schwarzes Kleid kaufen. Bist du bereit?«
Toby nickte stumm. Monsieur Pierres seltsame Fröhlichkeit flößte ihm mehr Angst ein als der Rohrstock von Mr. Finch.
»Très bien
. Wenn du an den lieben Gott glaubst,
mon ami
, solltest du jetzt beten.«
Toby hatte noch nie in seinem Leben ein Gebet gesprochen, doch als er sah, wie Monsieur Pierre den Zeigefinger in das Kühlwasser steckte und nochmals Eis in die Wanne füllte, hätte er ein Dutzend Bratfische und eine ganze Stange Kautabak darum gegeben, eines auswendig zu wissen. Mit einem Gesicht, als würde er sich einem Kampfhund nähern, nahm Monsieur Pierre die Flasche mit dem Glyzerin und goss vorsichtig den Inhalt in die Säuren,
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