Die Rebellin
Verlockung. Aber er traute dem Braten nicht. Nur ein paar Besorgungen? Für fünf Schilling und sechs Pence? Entweder war Robert vollkommen verrückt geworden, oder an der Sache war etwas faul.
Der Geselle nickte ihm aufmunternd zu. »Na, was sagst du zu dem Angebot?«
»Ich .. ich …«, stotterte Toby, während Punch wieder an seiner Hose schnüffelte, »ich finde das schwer in Ordnung von dir, und ich würde dein Angebot auch verdammt gern annehmen, das kannst du mir glauben. Der Mist ist nur, ich habe gerade keine Zeit. Ich … ich bin hier nämlich mit Victor verabredet.«
»Das sehe ich«, erwiderte Robert spöttisch. »Doch leider lässt dich dein Freund mal wieder im Stich. Na komm schon, es ist wirklich nur ’ne Kleinigkeit.«
»Aber was ist mit Victor? Der wird verdammt sauer sein, wenn ich nicht da bin, und du weißt, wie jähzornig er manchmal ist.«
»Keine Angst, er wird dich schon nicht verprügeln.« Plötzlich verschwand das Grinsen aus Roberts Gesicht, genauso wie der freundliche Ton aus seiner Stimme, und mit der Faust schlug erToby gegen die Schulter. »Entweder du gibst mir jetzt mein Geld zurück, und zwar auf der Stelle, oder du tust mir den Gefallen!« Er packte Tobys Kinn und rückte ihm so dicht auf die Pelle, dass Punch anfing zu knurren. »Hast du das verstanden, du kleiner Wichser?«
10
Eine feuchte, schwüle Luft wie in den Tropen schlug Joseph Paxton entgegen, als er das Seerosenhaus betrat. Obwohl er in den letzten Wochen kaum Zeit gehabt hatte, sich um die Baustelle zu kümmern, waren die Arbeiten vollkommen abgeschlossen. Dank Emily, sie hatte ihn bestens vertreten. In nur vier Monaten war das Gebäude entstanden, vom ersten Spatenstich bis zur Einsetzung der Pflanzen. Die Seerosen hatten in der neuen Umgebung ohne Ausnahme Wurzeln geschlagen und gediehen, dass es eine Freude war. Über drei Dutzend Blüten hatten sie schon getrieben.
Doch Paxton warf kaum einen Blick auf die Pflanzenpracht, während er sich auf die Bank vor dem Hauptbecken sinken ließ. Müde öffnete er den Hemdkragen. Die Luft, die ihm hier drinnen sonst gar nicht feucht und schwül genug für die Seerosen sein konnte, empfand er an diesem Abend als unerträglich. Aber er wusste nicht, wohin er sich sonst hätte verkriechen können. Er wollte jetzt niemanden sehen, auch nicht Sarah, seine Frau.
Alles, was er gedacht und getan hatte, war richtig gewesen. Es war richtig gewesen, sein ganzes Vermögen in die Midland Railway zu investieren – der Eisenbahn gehörte die Zukunft. Es war richtig gewesen, auf Henry Coles Idee zu setzen – die Weltausstellung würde der Eisenbahn zum endgültigen Durchbruchverhelfen. Eins plus eins waren immer noch zwei. Und trotzdem ging die Rechnung nicht auf, drohte der Erfolg, der zum Greifen nah war, an dem verfluchten Gebäude zu scheitern. Weil Colonel Sibthorp, diese groteske Witzfigur, und eine Bande von konservativen Sturköpfen mit allen Mitteln verhindern wollten, dass neue Zeiten in England anbrachen.
»Leben! Leben!«
Der Kakadu schlug aufgeregt mit den Flügeln. Paxton schaute böse zu der Palme hinauf, wo Cora mit ihren Glotzaugen hockte. Konnte das Mistvieh eigentlich nur dieses eine Wort? Obwohl er sich dagegen wehrte, kreisten ihm die Maximen seiner eigenen Philosophie durch den Kopf, verfolgten ihn bis in die hintersten Windungen seines Gehirns, wie um ihn zu verhöhnen: Alles Leben, ob bei Pflanzen oder Tieren oder Menschen, entsteht durch Auslese, durch Überwindung des Schwachen durch das Starke, im ewigen Kampf ums Überleben … Er hatte immer geglaubt, zu den Starken zu gehören. Hatte er sich geirrt?
»Mama hat gesagt, dass du Cole helfen willst.«
Paxton zuckte zusammen. Emily stand vor ihm und strahlte ihn an.
»Woher kommst du denn? Ich hatte dich gar nicht gehört.«
»Cora hat mich doch laut genug angekündigt. Aber was ziehst du für ein Gesicht? Kopfschmerzen?«
»Das kannst du wohl sagen.« Paxton stieß einen Seufzer aus.
»Ich habe deinem Verlobten einen Entwurf versprochen, ohne die geringste Idee, und in einer Woche muss ich damit fertig sein.«
»Ja und? Was ist daran Besonderes? Du hast schon Entwürfe in ein paar Minuten gemacht. Zum Beispiel für das Glashaus hier.«
»Ach, Emily, wenn du wüsstest. Es ist ein Ding der Unmöglichkeit. Ich komme mir vor wie jemand, der ein gigantisches und vollkommen neuartiges Uhrwerk konstruieren soll, ohne je eine Uhr von innen gesehen zu haben.«
»Offen gestanden, ich verstehe rein
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