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Die Rebellin

Die Rebellin

Titel: Die Rebellin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Peter Prange
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genommen hatte, die Sache im Unterhaus zu verfechten, war beim Ausritt im Hyde Park vom Pferd gestürzt und hatte sich lebensgefährlich verletzt. Als Emily und ihr Vater an diesem 4. Juli 1850 auf der Besuchergalerie des Parlaments ihre Sitze einnahmen, war sein Platz in der ersten Reihe der Abgeordneten mit schwarzem Trauerflor umhüllt. »Gott sei seiner Seele gnädig«, sagte Paxton.
    Emily blickte ihren Vater an. War jetzt alles vorbei? Bevor er etwas sagen konnte, hatte Colonel Sibthorp sich bereits erhoben und zu reden begonnen.
    »Sir Robert Peels Tod«, rief er, die Reitpeitsche in der Hand, den Abgeordneten zu, »ist ein Zeichen des Himmels! Gott selbst hatsein Urteil gesprochen! Dieses Unternehmen ist der Untergang Englands! Revolutionäre vom Kontinent und aus aller Welt werden in unserer Hauptstadt einfallen. Geheimgesellschaften werden sich verschwören, unsere Königin umzubringen, und die Papisten werden sich in London ausbreiten wie eine Seuche, um unsere Töchter mit ihren Geschlechtskrankheiten anzustecken. Fünfzehnhundert Ausländer sind bereits an unseren Küsten gelandet, und die Ersten von ihnen haben in Kensington schon Häuser angemietet, um Bordelle darin zu eröffnen. Die Gefängnisse Englands werden nicht ausreichen, das Pack hinter Schloss und Riegel zu bringen. Und das alles sollen wir zulassen, nur weil ein deutscher Prinz es so will?«
    »Hört! Hört!«
    Emily wusste, was die Rufe bedeuteten. Die Opposition, die in den letzten Wochen schon alle Hoffnung aufgegeben hatte, witterte nach Peels fatalem Sturz vom Pferd plötzlich wieder Morgenluft. Noch wenige Stunden vor seinem letzten Ausritt hatte der Politiker sich im Buckingham-Palast für das Unternehmen eingesetzt. Jetzt, nach seinem Tod, ging das Gerücht, Albert habe den Mut vollständig sinken lassen und sei zur Aufgabe bereit, bevor sein Name durch den Dreck gezogen werde und in der Öffentlichkeit irreparablen Schaden erleide.
    Wieder sauste Sibthorps Peitsche durch die Luft.
    »Im Hyde Park oder nirgendwo sonst
– das waren angeblich Sir Roberts letzte Worte. An seinem Grab rufe ich ihm zu: Lieber nirgendwo sonst als dort! Kein Ort ist ungeeigneter als dieser! Der Park, Herz und Lunge Londons, wird sich in ein Heerlager von Vagabunden verwandeln, in ein Biwak und Tollhaus. Wenn die Bauarbeiten beginnen, ist die Saison ruiniert, kein anständiger Mensch will dann mehr in Kensington oder Belgravia wohnen. Hier«, rief Sibthorp und hielt ein Blatt Papier in die Höhe, »ist die Eingabe der Anwohner, eine Aufforderung an das Parlament, das Unheil von ihnen abzuwenden. Die Liste der Unterschriften ist lang genug, um eine komplette Ausgabe der
Times
zu füllen! Dennoch hören wir, dass der deutsche Prinz, allen Protesten zum Trotz, den Entwurf eines gewissen Joseph Paxton favorisiert, um unseren geliebten Hyde Park zu verschandeln. Aus welchem Grund? Nun, Lord Granville, Alberts Stellvertreter in der Königlichen Kommission, ist ein Neffe des Herzogs von Devonshire, und dieser wiederum ist seit Jahren der größte Förderer ebendieses Joseph Paxton. Also frage ich Sie, meine Herren: Hat der Herzog womöglich die Kommission zu Gunsten seines Schützlings beeinflusst?«
    »Hört! Hört!«
    Im Saal entstand Tumult. Die Abgeordneten riefen einander Beschimpfungen zu, einige sprangen auf und ballten die Fäuste.
    »Brunel«, sagte Paxton, blass im Gesicht. »Das ist seine Rache.«
    Emily drehte sich um. Tatsächlich! Zwei Reihen über ihnen saß der Rivale ihres Vaters auf der Galerie und verfolgte aufmerksam die Debatte. Konnte es wirklich sein, dass er hinter der Verleumdung steckte, um einen neuen Korruptionsskandal zu entfachen? Brunel hatte bereits öffentlich gegen die Berücksichtigung verspätet eingereichter Entwürfe protestiert, um Joseph Paxtons Entwurf zu verhindern, und eine neue Ausschreibung des Wettbewerbs verlangt. Die Arme vor der Brust verschränkt, nickte er Emily jetzt mit einem triumphierenden Lächeln zu. Am liebsten hätte sie ihm die Zunge herausgestreckt – stattdessen biss sie sich vor Wut auf die Lippen. Wo zum Kuckuck blieb Henry Cole? Er hatte versprochen, auch ins Parlament zu kommen, doch sie hatte ihn den ganzen Tag nicht gesehen. Bei der Nachricht von Peels Tod am Vorabend hatte er Hals über Kopf das Haus ihrer Eltern verlassen und sich seitdem nicht mehr blicken lassen. Hatte auch er die Segel gestrichen?
    Noch einmal erhob Colonel Sibthorp seine Stimme:
    »Mr. Samuel Peto, ein überaus ehrenwerter

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