Die Rebellin
Mann, der sich für kurze Zeit hat täuschen lassen, hat heute Morgen, als er von diesen möglichen Verstrickungen erfuhr, der Weltausstellung seine Unterstützung bis auf weiteres entzogen. Er will mit sokorrupten Machenschaften nichts zu tun haben. Ich fordere Sie deshalb auf, Gentlemen: Folgen Sie dem Beispiel dieses Mannes! Verweigern Sie dem Irrsinn Ihre Stimme! Bewahren Sie London und das Königreich vor Schaden! – Gott schütze England!«
Die Peitsche unterm Arm, nahm Sibthorp den tosenden Beifall entgegen.
Paxton schlug die Hände vors Gesicht. Emily sah seine Verzweiflung – doch was konnte sie tun? Hilflos ließ sie die Hand sinken.
Jetzt konnte nur noch ein Wunder helfen.
15
Der Tag ging zur Neige, und die Dämmerung eines feuchten, trüben Sommerabends senkte sich auf die Drury Lane herab, drang durch die Fenster und Türen, kroch durch Ritzen und Fugen, um sich in den Häusern auszubreiten. Öde und verlassen lag die Werkstatt von Mr. Finch da, und wo sonst die Pressen kreischten, der Meister die Gesellen anschrie und die Gesellen die Lehrlinge, herrschte feierabendliche Stille. Nur eine Fliege summte durch den Raum, tanzte einmal um den Ofen und steuerte dann auf Daisys Porträt zu, um sich auf der Nase der dort in Öl verewigten Katze niederzulassen, als Victor die Werkstatt verließ. Seine Geduld war am Ende. Es war schon nach neun, und das Büro der Reederei hatte nur bis zehn Uhr geöffnet.
Im Laufschritt machte er sich auf den Weg, bis zur Hampstead Road brauchte man zu Fuß eine halbe Stunde. Der Streit mit Toby, der schlimmste, den sie je gehabt hatten, wütete immer noch in ihm. Dutzende von Malen hatte er sich Toby in Gedanken vorgeknöpft, ihn Dutzende von Malen geschüttelt und geohrfeigt. Welcher Teufel hatte ihn nur geritten? Toby hatte esregelrecht auf einen Streit angelegt, gerade so, als hätte er einen Grund gesucht, um nur ja nicht mitzukommen. Wie hatte er von Amerika geschwärmt, alles sei dort größer und besser und schöner als hier! Wochenlang war er Victor damit auf die Nerven gefallen, von morgens bis abends, immer nur Amerika und Kalifornien. Und jetzt ließ er sich eine solche Chance entgehen? Toby war um acht tatsächlich mit Robert verschwunden. Victor hatte bis um neun auf ihn gewartet, für den Fall, dass er es sich noch einmal anders überlegte. Aber jetzt war die Sache entschieden. Wenn Toby nicht nach Amerika wollte, würde er eben ohne ihn anheuern. Punkt! Aus! Feierabend!
Als Victor in die Oxford Street einbog, brannten dort schon die Straßenlaternen. Ein leichter Nieselregen setzte ein, der das Pflaster schlüpfrig machte und die Gaslichter umso heller erstrahlen ließ. In der diffusen Dunkelheit wirkten die glänzend erleuchteten Läden der breiten Einkaufsstraße noch prachtvoller als sonst, und hinter den Fenstervorhängen der Häuser, die sich an die Geschäfte anschlossen, loderten helle Küchenfeuer. Der Duft von Braten und Eintopf stieg Victor in die Nase, und erst jetzt merkte er, dass ihm vor Hunger der Magen knurrte. Seit dem Frühstück hatte er nichts mehr gegessen. Er wollte gerade nach einem Bäckerjungen rufen, der in einer Seitengasse mit seiner Glocke klingelte, da trat eine junge Frau vor ihm aus einem Laden und spannte ihren Schirm auf. Sie trug ein gestreiftes Kleid – genauso ein Kleid hatte Emily getragen, als sie aus dem Bus gesprungen war, um ihren Vater zu begrüßen. Die Frau lächelte ihn an. Victor beschleunigte seinen Schritt. Er hatte nur noch den Wunsch, London und England und den ganzen verfluchten Kontinent für immer zu verlassen.
In der Tottenham Court Road wurden die Häuser kleiner und ärmlicher, und statt glänzend erleuchteter Geschäfte säumten hier offene Stände den Weg. Alte Weiber hockten in den dunklen Torwegen, zwischen Stapeln von blassgelben Käselaiben und aufgetürmtem Gemüse. Das feine Nieseln ging allmählichin einen gleichmäßigen Sprühregen über, ein warmer Wind kam auf und rüttelte an den Fensterläden. Ein Konstabler, der an der Kreuzung zur Euston Road patrouillierte, knöpfte sich den Wachstuchkragen zu und drückte sich den Hut in die Stirn. In demselben Haus hatte Victor ein Jahr lang mit seiner Mutter gelebt, das letzte Jahr, bevor sie an einer Lungenentzündung gestorben war; sie hatte im Souterrain ihre Wäscherei betrieben. Was hätte sie zu Amerika gesagt? Ob sie wohl mit ihm gefahren wäre? Als Victor den Konstabler passierte, tastete er nach seinen Papieren. Hoffentlich musste
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