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Die Rebellin

Die Rebellin

Titel: Die Rebellin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Peter Prange
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griff er zu einem Löschblatt auf dem Tisch und begann mit seiner Füllfeder darauf zu zeichnen, so tief in seine Tätigkeit versunken, dass er das aufgeregte Stimmengewirr um sich her bald so wenig wahrnahm wie ein Fußgänger in der Londoner City den Lärm des Straßenverkehrs.
    »Mr. Paxton! Ihre Meinung, bitte!«
    Er blickte von seiner Arbeit auf. William Taylor, ein junger, kaum vierzigjähriger Direktionskollege aus Birmingham, der ihm am anderen Ende des Konferenztisches gegenübersaß, sah ihn erwartungsvoll an.
    »Sie haben sich so viele Notizen gemacht, Sir, dass wir schon ganz neugierig sind. Was glauben Sie – wie sieht die Zukunft der Eisenbahn aus?«
    Statt einer Antwort hielt Paxton das Löschblatt in die Höhe. »So, meine Herren!«
    Ein irritiertes Raunen machte die Runde. Auf dem Blatt, das übersät war von alten Tintenklecksen und Abdrücken unleserlicher Hieroglyphen, von Buchstaben und Ziffern und Tabellen, die irgendjemand mal auf das Löschpapier gebannt hatte, um seine Notizen zu trocknen, sah man eine grobe, improvisierte Skizze: der Aufriss eines langgestreckten Gebäudes, einer flachen, dreifach abgestuften Pyramide aus Glas und Stahl.
    »Aber«, sagte Präsident John Ellis, der als Erster die Sprache wiederfand, »das … das ist ja ein Gewächshaus!«

13
     
    Victor ließ den Pressbengel los, klappte Deckel und Rahmen auf und nahm den frisch gedruckten Bogen aus der Form. Toby arbeitete neben ihm am Setzkasten. So flink wie Tauben, die Erbsen vom Boden aufpicken, griffen seine Finger nach den Lettern und reihten sie in den Winkelhaken ein, während seine Augen unablässig zwischen dem Halter mit dem Manuskript, von dem er seinen Text absetzte, und den Schrifttypen in den Fächern hinund herwanderten. Victor hatte selten einen Lehrling gesehen, der so schnell war, und der Anblick erfüllte ihn mit einem Anflug von Stolz. Das meiste, was Toby konnte, hatte er von ihm gelernt.
    »Kommst du mal kurz raus auf den Hof?«, raunte er ihm über die Schulter zu. »Ich muss dir was sagen.«
    »Warum nicht hier?«, fragte Toby, ohne seine Arbeit zu unterbrechen.
    »Weil ich nicht will, dass uns jemand hört.«
    »Okay. Ich mache nur noch die Zeile zu Ende.«
    Okay
war Tobys neues Lieblingswort. Seit er mit dem Sohn des Goldgräbers gesprochen hatte, benutzte er es in jedem dritten Satz. Victor nahm einen Stapel fertiger Druckbogen vom Tisch und ging damit hinaus. Mrs. Finch, die gerade Daisys Porträt mit einem weißen Lappen wischte, trat mit einem giftigen Blick beiseite, um ihn vorbeizulassen. Sie hasste ihn, weil er ihre Katze ersäuft hatte, und sie hasste ihn noch mehr, weil sie ihn nicht rauswerfen konnte. Sie wusste so gut wie ihr Mann, der mal wieder betrunken auf der Ofenbank schnarchte, dass sie ohne Victor die Druckerei schließen mussten.
    Draußen im Hof verstaute Victor die Druckbögen in einem Fass, damit sie zum Binder gebracht werden konnten. Er hatte es noch nicht wieder verschlossen, als Toby kam.
    »Was gibt es denn, was keiner wissen darf?«
    Victor rückte umständlich den Deckel auf dem Fass zurecht, um seinen Freund noch ein bisschen auf die Folter zu spannen. Dann sagte er, so beiläufig wie er nur konnte: »Wir haben ein Schiff, das in zwei Wochen nach Amerika ausläuft.«
    Toby riss die Augen auf. »Was? Was sagst du da?« Er war so aufgeregt, dass sich seine Stimme überschlug. »Willst du mich verarschen?«
    »Pssst, nicht so laut. Heute morgen, als ich in der Fleet Street war, habe ich die Anzeige gelesen, in der
Illustrated London News
. Das Schiff heißt
Liberty
, ein ganz modernes Dampfschiff, und fährt nach San Francisco.«
    »Liberty«
, wiederholte Toby, »was für ein schöner Name.« In seiner Miene kämpften aufkeimende Freude und letzte Zweifel.
    »Okay – was ist der Haken an der Sache?«
    »Es gibt keinen Haken. Sie suchen für die Besatzung noch jede Menge Leute. Ich könnte als Heizer anheuern, und du als Küchenjunge. Stell dir vor, in zwei Monaten wären wir in Amerika.«
    »Herrgott! Amerika! Wenn ich daran nur denke, du und ich in Kalifornien …« Toby lächelte so selig, als hätte er eine Flasche Whisky getrunken. »Was müssen wir dafür tun?«
    »Nur unterschreiben. Die Reederei hat ihr Büro in der Hampstead Road. Wir gehen heute Abend gleich hin.«
    »Heute Abend?« Toby verzog das Gesicht, als hätte Mrs. Finch ihm einen Napf von ihrem Schweinefraß vorgesetzt. »Also, morgen wäre mir ehrlich gesagt lieber.«
    »Morgen ist es zu spät. In

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