Die Rebellin von Leiland 2: Das Gift des Herzogs (German Edition)
wäre. Beeindruckt von dem Wissen, das er nun bei ihm vermutete, begann er, den Blick über die Bücher vor sich schweifen zu lassen, während die Finger der jungen Frau mit ihren kurz geschnittenen, gepflegten Nägeln über die Zeilen ihres Manuskripts huschten.
Andin stand auf und machte zwei, drei Schritte auf die Abteilung Geschichte und Geographie zu.
Wie jeder rechtschaffene Fremde wollte er gerne wissen, was man über sein Land schrieb und was Victoria daraus über ihn erfahren mochte. Seine Augen brauchten nicht lange, um das Buch zu finden, das von Pandema handelte. Auf dem hellen, anscheinend unberührten Leder funkelten die goldenen Lettern für ihren Prinzen. Er konnte der Versuchung, das Buch durchzublättern, nicht widerstehen. Mit dem Finger kippte er es leicht und zog es zu sich heran. Es war schwer, dick, neu und genauso schön wie das Land, für das es stand.
Behutsam schlug Andin die erste Seite auf. Eine kleine, getrocknete Blüte mit fünf cremefarbenen Blütenblättern, die mit der Zeit kaum ausgeblichen und vergilbt waren, glitt zwischen den Blättern hervor und fiel zu Boden. Eine weiße Syllis …
Elea hatte gesehen, dass Andin sich entfernt hatte, und hatte ihn beobachtet. Er war in die einzige Richtung gegangen, die sie ihn nicht hatte einschlagen sehen wollen, er hatte das einzige Buch geöffnet, dass er nicht anrühren durfte. Sie hatte es sofort begriffen– Andins Tat war unvermeidlich.
Als die Blume sacht auf den Parkettdielen landete, eilte Elea auf den jungen Mann zu.
» Rühr sie nicht an!«
Sie kniete sich hin, um die Blume mit äußerster Vorsicht aufzuheben.
» Sie ist zerbrechlich.«
Sie beförderte die weiße Syllis zurück in das Buch und schlug es zu.
» Man darf keine Kinderversprechen brechen– und schon gar nicht die, die man Toten gegeben hat«, sagte sie leise.
Sie nahm Andin das Buch aus den Händen, um es herrisch an seinen Platz zurückzustellen. Dann kehrte sie zu ihrem Stuhl zurück, ohne um den Gesichtsausdruck des jungen Mannes viel Aufhebens zu machen.
Andin war jedoch wie betäubt. Er war beim Anblick der Blume überrascht gewesen– und dann völlig verstört über die Reaktion der jungen Frau. Inzwischen hatte er aufgehört, sich zu fragen, ob Victoria die kleine Elea aus seiner Kindheit war oder nicht. Denn er war davon zutiefst überzeugt, selbst wenn er es im Herzen noch nicht gewagt hatte, sie so zu nennen. Elea hatte ihm gerade nicht nur den Beweis dafür geliefert, sondern ihm auch durch ihr Verhalten gezeigt, dass ihre Begegnung vor neun Jahren sie ebenso beeindruckt hatte wie ihn. Sie hatte seine Blume behalten, ja sie schien daran zu hängen und sie mit größter Sorgfalt aufzubewahren. Und sie hatte sogar traurig von einem Toten gesprochen: Elea glaubte wie so viele, dass der Dritte Prinz von Pandema nicht mehr von diesen Welten war!
Mit halb geöffnetem Mund und hingerissenem Blick blieb Andin wie gelähmt stehen.
Eleas Herz war ob der alten Geschichte verstört. Als ob die Gegenwart es nicht schon genug belastet hätte! Sie hatte eindeutig Schwierigkeiten, sich auf die Worte zu konzentrieren, die sie las. Denn sie dachte an einen alten Fehler zurück, an Jorans Wahnsinn und an diese Blume, die sie mit ihrer ganzen Kinderliebe aufbewahrt hatte.
Elea erinnerte sich nicht an besonders viel, Joran hatte alles unternommen, damit sie es vergaß. Der König von Pandema hatte ihr geholfen, auf die Burg der Gänseländer vorzudringen, und einer seiner Söhne hatte sie bei ihrer Flucht aus den Kerkern unterstützt. Heute erinnerte sie sich nicht einmal mehr an sein Gesicht, nur an ein süßes Gefühl, das die Gegenwart des kleinen Prinzen hervorgerufen hatte: Sie hatte ihm ihren Namen genannt, und als Joran sie angeschrien hatte, warum sie das getan hätte, hatte sie unschuldig erwidert: » Weil er grüne Augen hatte.«
Sie lächelte innerlich. Andin hatte auch grüne Augen: Das war wahrscheinlich der Grund dafür, dass sie ihn so sehr liebte, während Joran ihn derart hasste. Die Blume, mit der der kleine Prinz ihr das Gesicht gestreichelt hatte, hatte sie insgeheim aufbewahrt und schlau in der einzigen Handschrift versteckt, in die ihr Lehrmeister nie einen Blick warf.
Nichts anderes kam ihr mehr in den Sinn, noch nicht einmal der Vorname jenes kleinen Prinzen, aber das spielte keine Rolle mehr, sie hatte nicht versucht, ihn wiederzufinden. Mit aller Grausamkeit hatte Joran ihr drei Jahre nach der Begegnung verkündet, dass es der Dritte
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