Die Rebellin von Leiland 3: Die Gefangene des Tyrannen (German Edition)
war blutverklebt, seine Augen starrten Elea wie in einer letzten Aufwallung von Hoffnung an. Er suchte Schutz und Pflege bei seiner menschlichen Freundin. Als ganz junger Wolfswelpe hatte er durch Beobachtungen im Wald erkannt, dass sie heilkundig war. So war er zu ihr gekommen, als ihm ein großer Dorn in den Lefzen gesteckt hatte. Er hatte ihn nicht mit den Reißzähnen erreichen können und mit den Pfoten nur noch tiefer hineingedrückt. Nun, da er wieder litt, kehrte er vertrauensvoll zu ihr zurück. Damals hatte das junge Mädchen ihn vor einer Entzündung und vor dem sicheren Tod bewahrt– aber was konnte sie heute angesichts eines solchen Blutbads ausrichten?
Im Kopf hörte Elea wieder einen Satz der Feen: Dieses Füllhorn wird von dir keine Schmerzen mehr als Preis für eine Heilung verlangen.
Aber nur von ihr nicht! Das galt nur für sie! Elea konnte das Füllhorn nicht bei dem Wolf anwenden, ohne ihm noch mehr weh zu tun und ihn so zu töten! Warum? Hatte er nicht ebenfalls gerade unbegrenztes Leid durchgemacht? San war überzeugt, dass sie ihn heilen würde– das sah sie seinen Augen an. Er, der nur tötete, um zu fressen und die Seinen zu beschützen, verstand die Unbarmherzigkeit der Menschen nicht. Er glaubte an die junge Frau.
Sanft legte Elea ihm die Hand auf den Kopf. Indem sie die Zukunft und das Böse ausblendete, fand sie ihre Stimme wieder und streichelte ihn.
»Ich werde mich um dich kümmern, San, ja, du wirst sehen, bald hast du keine Schmerzen mehr, du leidest nicht mehr. Ich werde mich um dich kümmern.«
Mit blutüberströmten Händen strich sie ihm über die Stirn, über den runden Fleck, der jetzt die Farbe der Opferung hatte. Sie tröstete ihn, sie wollte selbst daran glauben. Eine kleine Zungenspitze leckte ihr dankbar die Finger, und sie wusste, dass alles vorbei war. Vornübergebeugt, die Stirn auf den Kopf des Wolfs gelegt, kniete sie reglos da. San hatte kein einziges Mal gewimmert. Schon immer und bis in alle Ewigkeit sterben Wölfe stumm.
Es war alles still, nicht einmal mehr ein Vogel zwitscherte.
Alle Bewohner des Verbotenen Waldes waren aus ihrem Freudentaumel gerissen. Der große Sten wusste, dass er nun nie erfahren würde, wie dieser Wolf es immer hatte wagen können, sich auf ihn zu stürzen und ihn zu Boden zu strecken. San nahm das Geheimnis seiner Intelligenz mit in den Tod.
Andin trat an Elea heran. Er wollte sie in die Arme nehmen und versuchen, sie zu trösten. Aber sie stand ruckartig auf und ging an ihm vorbei, ohne ihn anzusehen. Ihr Gesicht war erstarrt, dreifach verschlossen. Behutsam machte sie einige Schritte durchs Gras und ging auf die Wiese hinab. Mit blutverschmierten Händen packte sie ihren fleckigen Rock und riss mithilfe ihrer Zähne die Seiten auf. Dann drehte sie sich zu ihren Freunden um. Tränen waren ihr in die Augen getreten und strömten ihr lautlos über die Wangen: Sie nahmen die Farbe des Bluts an, auf das sie fielen.
Dann ging alles sehr schnell. Elea ließ mithilfe ihres Füllhorns ein Messer erscheinen und lief los. Mit der Kraft des Hasses gelang es ihr, auf ihr Pferd zu steigen; sie ritt in den Wald hinein. Andin wollte sie aufhalten, aber Joran verstellte ihm den Weg.
»Sie hat ein Recht, Rache zu nehmen.«
Andin war nicht einverstanden damit. Er stieß das Chimärenwesen gewaltsam beiseite und rannte über die Wiese. Auf sein Pfeifen hin ließ Nis ihn nicht lange warten: Er sprang auf ihren ungesattelten Rücken.
Schnell wie ein Vogel im Flug schoss er zwischen den ersten Bäumen hindurch und über die Brücke-ohne-Wiederkehr. Bald hörte er die Hufschläge eines Pferds im Galopp vor sich. Dann zeichneten sich die Umrisse einer Reiterin ab, die durchs Gesträuch hastete. Andin hielt Elea auf, indem er sich auf sie stürzte und sie zu Boden riss. Er schützte sie vor dem Aufprall, indem er als Erster mit dem Rücken auf dem Boden landete. Sie versuchte sich zu wehren und begann zu schreien, aber sie hatte nicht die Kraft, gegen Andin zu bestehen. Er ließ sie erschöpft am Boden zurück, holte sich seinen Bogen und seine Pfeile von Zarkinns Sattel und ritt im Galopp auf seiner Stute davon.
Elea saß inmitten des Laubs und schrie ihre Schwäche und ihren Protest heraus, aber nichts konnte den jungen Mann aufhalten.
Er ritt nicht einfach blind voran. San hatte im Vorüberkommen überall Spuren hinterlassen. Sein frisches Blut besudelte das Leben und gab den Weg vor, wie ein anklagender Finger, der auf seinen Mörder zeigte.
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