Die Rebellin
dies alles auf mich! Mich interessiert es längst nicht mehr, was die Leute über mich denken oder tratschen. Ich hätte sogar Lust, meinen dicken Bauch durch Mykonos zu tragen und die blöden Gesichter zu sehen. Vor allem das meiner Mutter! Aber ich beherrsche mich, weil ich das Marcus nicht antun darf. Vassiliki, schwörst du mir, dass er es nie erfährt?«
Marcus hatte sich seinen eigenen Reim auf die Ereignisse gemacht. Bis nach Mykonos war die Kunde gedrungen, dass Mando und Ypsilanti wie Mann und Frau in einem Haus zusammenlebten – irgendjemand wollte sogar herausgefunden haben, dass sie sich ein Bett teilten – und dass die Heldin von Mykonos strahlender Mittelpunkt illustrer Gesellschaften war. Sie hatte ihr kostbares Schwert Graf Kapodistrias geschenkt und sogar General Kolokotronis schien Wert auf ihre Meinung zu legen.
Da ist sie wieder in ihrem Element, dachte er bitter, im Mittelpunkt der Welt, am Schalthebel der Macht, und alles, was ich an ihr nicht leiden kann, wird sie wieder kultivieren. Dafür sprach auch, dass sie es nicht einmal für nötig befunden hatte, ihm einen einzigen Brief zu senden.
Ihm hatte sie vorgespiegelt, dass sie Ypsilanti den grünen Kasten abnehmen wollte, aber das war bestimmt eine Lüge. Der grüne Kasten hätte sie nicht monatelang in Nauplia festgehalten. Da steckte etwas ganz anderes dahinter und Marcus fürchtete, dass dies mit ihm zusammenhing. Sie war seiner müde geworden. Er hatte ihr auf Mykonos nicht genug bieten können. Ihr Auftritt vor den Bürgern der Insel hatte sie wahrscheinlich daran erinnert, wozu sie fähig war, und warum sollte sie ihre Talente auf dem kargen Felseneiland vergeuden?
Jakinthos hatte ihm einmal gestanden, dass er nie aufhören würde Mando zu lieben, obwohl er genau wüsste, dass sie zu Höherem berufen war und einmal einen Mann heiraten würde, der die Welt aus den Angeln hob. So ein Mann war Ypsilanti und mit diesem war sie verlobt.
Es war von untergeordneter Bedeutung, dass sich die beiden gestritten hatten. Mando war vor Ypsilanti zu Kreuze gekrochen und er hatte sie in Gnaden wieder aufgenommen. Sonst wäre sie nicht so lange in Nauplia geblieben.
Aber warum war sie jetzt wieder auf Mykonos? An die Geschichte mit dem Schweigegelübde glaubte er keinen Augenblick und wenn sie im Zorn von Ypsilanti geschieden wäre, hätte sie nichts davon abgehalten, in die Arme ihres Cousins zu fliehen. Wahrscheinlich konnte sie es nicht ertragen, dass ihr künftiger Mann sich wieder Gefahren auf dem Schlachtfeld aussetzte und wollte in der Abgeschiedenheit ihres Hauses warten, bis der Krieg vorbei war. Ihn, Marcus, weigerte sie sich zu empfangen, weil sie Angst vor sich selber hatte, Angst, wieder schwach zu werden, wenn sie allein waren und Angst, ihren Verlobten zu betrügen. Eine Sekunde lang hatte er Mitleid mit ihr. Einer Frau mit so heißem Blut würde es unerträglich sein, Monate ohne Mann zu verbringen.
Er dachte an ihre alten Träume, dass er, als ihr Adjutant – war er das überhaupt noch? – mit ihr und Ypsilanti zusammenlebte und sie den Zwerg unter seiner großen Nase betrogen. Das war nur so lange gut gegangen, wie sie mit Ypsilanti das Lager nicht geteilt hatte. Jetzt hatte sich alles geändert.
Wer war er, Marcus, dass er ihr eine glänzende Zukunft verbauen wollte? Er musste sie freigeben, und das ging nur auf eine Weise: Er musste heiraten.
»Nein«, schrie Mando, »nein!«
Vassiliki nahm sie in die Arme und wiegte sie wie ein kleines Kind.
»Es tut mir so Leid, mein Täubchen, aber du musst ihn auch verstehen. Seine Familie setzt ihn schon lange unter Druck, er ist fast vierzig und muss an seine Zukunft denken!«
Sie hatte versucht die Nachricht vor Mando geheim zu halten, aber dann hatte ihr der Zufall einen Strich durch die Rechnung gemacht. Zum ersten Mal seit Monaten hatte Mando das Bulletin angesehen, das ihr fast wöchentlich ins Haus flatterte. Eine große Überschrift hatte ihren Blick gefangen genommen: ›Seeschlacht von Navarino bringt Entscheidung‹. Vassiliki, die selber nicht lesen konnte, war froh gewesen, dass Nachrichten aus der Außenwelt ihr Püppchen ablenkten, aber sie hatte keine Ahnung, dass weiter hinten auch Inselnachrichten veröffentlicht wurden. So erfuhr Mando, dass Marcus Mavrojenous Bürgermeister von Paros geworden war und mit seiner Ehefrau Anna dem ehrenwerten Fechtlehrer Monsieur Elitis für seine Verdienste im griechischen Befreiungskrieg ein Bankett gegeben habe.
»Jetzt
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