Die Rebellin
forderte Marcus auf, ganz langsam sieben Tropfen Öl ins Wasser fallen zu lassen.
»Da haben wir es!«, rief sie triumphierend. »Kein Zweifel möglich! Seht selber, das Öl verteilt sich nicht gleichmäßig über die Oberfläche, sondern bleibt in kleinen Tröpfchen hängen. Mein Herr, Sie sind das Opfer eines bösen Blicks.«
»Und was kann ich dagegen unternehmen?«, fragte er amüsiert.
Jaja dachte nach.
»Da gibt es mehrere Möglichkeiten. Aber das kostet Zeit.«
»Die schnellste!«, bat Marcus.
Jaja schüttelte den Kopf, murmelte, dass es die jungen Leute heutzutage immer eilig hätten, und bat Mando und Marcus in die Küche. Sie griff zu einem Mörser und verbrannte darin getrocknete Blüten, die sie einem Leinensäckchen entnahm. Aus dem Küchenschrank holte sie eine Porzellantasse, füllte sie zur Hälfte mit Wasser, forderte Marcus auf, sich aufrecht auf seinem Stuhl hinzusetzen und stellte die Tasse auf seinen Kopf. Er sah dabei so komisch aus, dass Mando in Gelächter ausbrach. Jaja sandte ihr einen strafenden Blick zu, schüttete dann den Inhalt des Mörsers in die Tasse.
»Sie müssen auch etwas tun«, sagte sie zu Mando. »Zählen Sie jetzt bis vierzig, aber nur die Fünfer, also fünf, zehn, fünfzehn …«
»… zwanzig, fünfundzwanzig«, nickte Mando gehorsam.
»Bitte dreimal zählen«, sagte Jaja, als Mando geendet hatte. Während des Zählens schlug sie vor Marcus immer wieder das Kreuzzeichen.
»Ist er jetzt geheilt?«, erkundigte sich Mando, nachdem sie mit dem Zählen aufgehört hatte.
»Beinahe. Jetzt müssen Sie«, sie nickte zu Mando hin, »mit der Tasse zu einer Stelle gehen, an der drei Wege zusammenkommen. Da müssen Sie die Tasse hinter sich ausschütten und zurückkehren, ohne sich umzudrehen.«
»Und wieso darf ich mich nicht umdrehen?«, fragte Mando.
»Weil sonst die bösen Mächte auf Sie übergehen könnten«, erklärte Jaja und reichte ihr die Tasse.
»So ein Unsinn! Ich werde doch nicht mit einer Tasse auf die Straße gehen …«
»Tue Buße«, hörte sie Marcus' Stimme, und das tat sie dann auch.
»Ich habe mich sogar umgedreht«, sagte sie später zu Marcus, als sie zum ersten Mal seit Monaten zu zweit vor dem Kamin im Salon saßen. Ypsilanti, der wieder zu einer Dienstreise aufgebrochen war, hatte Marcus die Gesamtverwaltung seines Hauses in Nauplia übertragen. Er wollte ganz sichergehen, dass sich der junge Mykoniate wegen Zwistigkeiten mit Mando nicht aus dem Staub machen würde.
»Und warum hast du dich umgedreht?«, fragte Marcus.
»Weil ich es verdient habe, dass die bösen Mächte auf mich übergehen«, erwiderte sie so leise, dass er sie kaum hören konnte.
Seit Marias Entlassung waren Monate vergangen und Marcus' Zorn auf Mando war längst verraucht. Er empfand Trauer darüber, dass sie einander nicht mehr nahe standen, und er schalt sich, Mando Unrecht angetan zu haben. Zumindest hätte er sich ihre Erklärung anhören und nicht den stolzen Gockel spielen sollen. Er war ziemlich sicher, dass Ypsilanti seit jener Nacht ihr Bett nicht mehr aufgesucht hatte.
»Die Dienstboten sind alle weg und Jaja ist in der Kirche«, flüsterte Mando. Marcus Augen wanderten von Adam Friedels Gemälde, das über dem Kamin hing, zu dem Objekt, das davor saß. Mando trug das gleiche Kleid mit dem winzigen Ausschnitt und dem großen Kragen und so wie sie auf Friedels Bild mit ihren großen schwarzen Augen nachdenklich in die Ferne blickte, so sah sie jetzt ins Feuer.
»Ein gelungenes Bild«, entfuhr es ihm.
Mando sah auf.
»Es ist nicht so schrecklich wie das von der Bobolina, aber mir gefällt es auch nicht. Zu süß, Marcus, das bin ich nicht.«
Er stand auf und nahm ihr Gesicht in beide Hände.
»Oh doch«, sagte er, »das bist du.«
Monatelang hatten beide auf diesen Augenblick gewartet, und jetzt konnten sie sich nicht einmal gedulden, in eines der Schlafzimmer zu gehen, sondern feierten die Versöhnung vor dem Kamin.
»Wenn die üblen Kräfte des bösen Blicks auf dich übergegangen wären, hätte uns dein Prinz wahrscheinlich überrascht«, meinte Marcus hinterher.
Erfrischt wie seit langem nicht, wachte Mando am nächsten Morgen sehr früh auf. Es war ein ungewöhnlich warmer Novembertag und so ließ sie ihr Pferd satteln und unternahm einen langen Ausritt. Bei Argos machte sie Rast an einem Bach, band ihr Pferd an einen Baum und sah sich um. Ein laues Lüftchen wehte, kleine Wolkenfetzen zogen über den Himmel und in der Ferne trieb eine Schäferin
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