Die Rebellin
Während sie den Spiegel putzte, beobachtete sie, wie eine junge hochschwangere Frau sich auf die Knie warf, mit ihren Armen eines von Selims Beinen umfing und laut jammerte.
Er stieß sie weg. Vassiliki zerknüllte den Putzlappen in ihrer Hand, als sie sah, wie ihr Sohn der schwangeren Frau auch noch einen Tritt versetzte.
Selim stellte sich ans Fenster und hob die rechte Faust.
»Warum bin ich verflucht!«
Weil es dir recht geschieht, dachte Vassiliki grimmig und vergaß weiterzuputzen.
»Nur Töchter! Von allen meinen Frauen!«
So erfuhr sie, dass sie mehrfache Großmutter war, und sie schickte ein Dankgebet zum Himmel, dass den Lenden ihres Sohnes kein männliches Kind entsprossen war. Frauen konnten nicht so viel Unheil anrichten.
Sie stieg vom Hocker, schlurfte zur Tür und machte sich mit ihrem Putzlappen über die reichen Ornamente her. Wenn Selim den Raum verließ, musste er an ihr vorbeigehen, und dann konnte sie es wagen, ihn direkt anzusehen.
»Die nächste Tochter wird nicht leben!«, rief er der Frau zu, die ihren schweren Leib inzwischen mühsam auf eine Ottomane geschafft hatte und leise in ein Taschentuch weinte.
Seine Schritte dröhnten über den Parkettboden, als er sich der Tür näherte.
»Verzeihung«, murmelte Vassiliki und machte ihm Platz. Einen Moment trafen sich ihre Blicke und Vassiliki blieb das Herz stehen. Sie sah in die gleichen kleinen harten schwarzen Vogelaugen, denen sie in ihrem eigenen Spiegel immer begegnete. Sie fürchtete schon, erkannt worden zu sein, weil Selim stehen blieb und sich seine Augen plötzlich verschleierten. Dann öffnete er den Mund.
»Die Sklaven haben ihre Arbeit in den Räumen vor Sonnenaufgang zu verrichten«, rief er zu der schluchzenden Frau hinüber. »Kümmere dich um deine Pflichten in diesem Haushalt!«
»Vor Sonnenaufgang ist es zu dunkel, um die edlen Gegenstände zu säubern«, sagte Vassiliki. Erschüttert, dass eine Sklavin es wagte, ihn anzusprechen, hob er die Hand.
Vassiliki wartete auf den Schlag, begrüßte ihn sogar, als ob er etwas von der Schuld wegnehmen könnte, dass sie so einem Teufel das Leben geschenkt hatte. Selim ließ die Hand wieder sinken, zum Verprügeln der Sklaven waren andere da. Fluchend schritt er durch die Tür.
Als seine Schritte im Flur verhallt waren, eilte Vassiliki zu der weinenden Frau. Ihr war ein Gedanke gekommen, wie sie den grünen Kasten aus dem Palast entfernen könnte.
»Madame«, flüsterte sie ihr zu, »es gibt Mittel, sicherzugehen, dass es ein Sohn ist.«
Aus rot geränderten Augen, in denen ein Funken Hoffnung aufblitzte, sah die Frau zu ihr hinauf.
»Auch wenn es schon so weit ist?«, fragte sie ebenfalls flüsternd und deutete auf ihren Bauch.
Vassiliki nickte.
»Erst in einer Vollmondnacht in den letzten beiden Monaten der Schwangerschaft wird das Geschlecht festgelegt«, versicherte sie. »Ich kann Ihnen helfen, Madame.«
Das Schluchzen versiegte, und die Frau richtete sich auf.
»Bitte«, flehte sie Vassiliki an, »bitte hilf mir!«
»Sie müssen selber auch etwas dafür tun.«
»Alles!«
Vassiliki zog den Putzhocker heran und setzte sich neben die Frau. Sie erklärte ihr, dass sie ihr in der nächsten Vollmondnacht einen Kräutertrank reichen würde, der dem Kind in ihr augenblicklich die typischen männlichen Merkmale verschaffen würde.
»Das ist alles?«, fragte die Frau, sich wundernd, dass sie noch nie von einem solchen Trank gehört hatte. Aber sie wusste auch, dass es unter den alten Sklavinnen viele weise Frauen gab, und sie hoffte, dass diese Alte mit den seltsam vertrauten Augen dazugehörte. Was hatte sie schon zu verlieren?
»Nicht ganz«, erwiderte Vassiliki. »Der Trank muss um Mitternacht in einem nach Osten gerichteten Raum eingenommen werden, also hier nebenan.« Sie nickte zu dem Saal hinüber, in dem der grüne Kasten stand.
»Und was muss ich noch dafür tun?«, fragte die Frau.
»Nur dafür sorgen, dass mich die Wachen zu jener Zeit auch durchlassen.«
Die Frau nickte. Vassiliki fiel noch etwas ein.
»Außerdem brauche ich eine winzige Locke Ihres Haars, Madame.«
»Wozu?«
»Wenn ich sie den Kräutern beimische, werden alle weiblichen Merkmale aus dem Kind verschwinden.«
In drei Tagen war Vollmond und bis dahin musste Vassiliki eine Menge regeln. Ihr fiel der Bauer ein, der täglich mit seinem Wagen zur Tür der Palastküche fuhr und dort frisches Gemüse abgab. Aus ihrer Küchenmagdzeit wusste sie, dass er außerordentlich gläubig war, und
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