Die Rebellin
ihre Tiere zusammen. Zufrieden mit sich und der Welt legte sich Mando für eine Weile ins Gras und schlief ein. Als sie später vom Schnauben ihres Pferdes erwachte, es losband und bestieg, bäumte es sich auf und warf sie ab. Sie fiel so unglücklich auf einen Stein im Bach, dass sie sich den linken Arm brach.
»Jetzt hat mich doch der böse Blick erwischt«, sagte sie am Abend zu Marcus, nachdem der Arzt gegangen war.
Sie konnte nicht wissen, dass die Schafhirtin in der Ferne Maria Jannaki gewesen war. Diese hatte Mando von weitem erkannt, war näher geschlichen, hatte dem Pferd einen Dorn in den Fuß getrieben und voller Befriedigung hinter einem Baum versteckt zugesehen, wie Mando in den Bach stürzte.
»Gibt es auch ein Mittel herauszufinden, wo sich ein bestimmter Mensch aufhält?«, fragte Mando Jaja am nächsten Morgen. Diese runzelte die pergamentweiße Stirn, dachte nach und riet Mando dann, vor dem Schlafengehen intensiv an die betreffende Person zu denken.
Mando befolgte diesen Rat, aber in keinem ihrer Träume wollte sich Vassiliki zeigen.
»Sie ist jetzt seit einem halben Jahr verschwunden!«, sagte sie zu Marcus. »Wir müssen irgendetwas unternehmen, um sie wieder zu finden.«
»Was denn?«, fragte er. »Und wo willst du mit dem Suchen anfangen? Hast du irgendeinen Hinweis?«
»Früher hat Vassiliki immer behauptet, dass ihr Elternhaus in Nauplia gestanden hätte«, erwiderte Mando, »aber als wir hier ankamen, kannte sie sich überhaupt nicht aus.«
»Hast du sie darauf angesprochen?«
»Natürlich! Sie war sogar so ehrlich zu sagen, dass sie gelogen hatte, aber wo sie herkam und wo ihre Familie lebt, hat sie mir nicht verraten.«
»Dialekte verwischen sich im Laufe der Zeit«, überlegte Marcus, »aber bestimmte Merkmale bleiben haften. Ich würde sagen, dass sie aus der Nähe Janninas kommen könnte.«
»Ali Paschas Reich!«, rief Mando.
»In dem jetzt seine Söhne herrschen.«
»Die ihn gemeuchelt haben!«
»So wird gemunkelt, und vielleicht hatten sie auch die Hand im Spiel. Zumindest einer von ihnen, der den schönen Spitznamen Selim der Grausame führt. Er soll Ali Pascha zu der Audienz begleitet haben, die ihm der türkische General Kurshid gewährt hat und auf der er dann heimtückisch ermordet worden ist.«
»Ich habe nicht viel Mitleid mit ihm«, meinte Mando. »Vom Morden verstand Ali Pascha schließlich auch eine ganze Menge.«
Vassiliki hätte Mando gern ein Lebenszeichen geschickt, aber dies war in ihrer Lage zu gefährlich. Sie betete also jeden Abend zum Herrn, dass er seine schützende Hand über ihr Püppchen, Marcus und Ypsilanti halten und dafür sorgen solle, dass Letzterer die beiden anderen nicht erwische.
Sie befand sich in Selims Schloss. Dieses war etwas kleiner als Alis Palast in Tepelenë, von dem aus sie vor drei Jahrzehnten auf die Reise nach Konstantinopel geschickt worden war. Innerhalb der vergangenen Monate hatte sie sich von einer einfachen Küchenmagd zu einer Dienerin heraufgearbeitet, die mit dem Abstauben wertvoller Gegenstände betraut wurde. Genau das, was sie hatte erreichen wollen.
In den letzten dreißig Jahren hatte sie immer wieder gehofft, dass der grüne Kasten endgültig aus ihrem Leben verschwinden würde, aber als er nach dem Brand in Mandos Haus in die Hände von Tombasis Männern fiel, war sie untröstlich gewesen. Hätte Mando den Kasten verkauft, wäre sie für den Rest ihres Lebens aller finanzieller Sorgen enthoben gewesen, glaubte Vassiliki. Nur weil sie, die dumme Dienerin, die Holzscheite auf dem Herd hatte liegen lassen, war das Feuer ausgebrochen, und nur darum hatte das Schicksal seinen unglücklichen Lauf genommen.
Lange hatte sie darüber nachgegrübelt, wie sie den grünen Kasten wieder auftreiben könnte, und dann war es ihr eingefallen.
In manchen Nächten hatte es Ali Pascha gefallen, den bescheidenen Jungen aus dem Volk zu spielen, damit Vassiliki mit ihrer Ehrfurcht vor dem hohen Herrn die zärtlichen Stunden nicht verdarb. Dann erzählte er ihr auch gern Geschichten aus seiner Räubervergangenheit und daher wusste sie, dass Landräuber bestens übereinander und die jeweiligen Aktionen der anderen informiert waren. Sie schloss, dass es bei Seeräubern auch nicht anders sein müsste, und sie überlegte, was für ein Aufruhr vor dreißig Jahren losgebrochen sein musste, als der grüne Kasten aus den Gemächern der Sultana verschwunden war. Natürlich würde der Sultan Ali Pascha verdächtigt haben, aber da der
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