Die Rebellion der Maddie Freeman - Kacvinsky, K: Rebellion der Maddie Freeman - Awaken
ebenfalls einen Pulli über und band mein Haar zu einem Pferdeschwanz zusammen.
Justin wartete vor dem Haus auf mich, und ich folgte ihm die Straße hinunter, wobei ich tief die feuchte, salzige Luft einatmete. Die kühle Brise erfrischte mich so, dass ich ohne Schwierigkeiten mit Justins Laufschritten mithalten konnte. An der nächsten Ecke bogen wir ab und joggten westwärts auf den Strand zu.
Die asphaltierte Straße verwandelte sich in einen Schotterweg, der in weichen Sand mündete. Ich stellte fest, dass die Küste hier zahmer war, als ich sie aus den Urlauben meiner Kindheit in Erinnerung hatte. In Oregon hatte es immer mächtige, aufgewühlte Wellen gegeben, doch in Kalifornien kamen sie so harmlos an den Strand geplätschert, als sei das Meer in Urlaubsstimmung und das Leben überhaupt zu entspannt, um ein Drama zu veranstalten. Aber vielleicht war ich auch einfach nur erwachsen geworden, und was mir früher Angst gemacht hatte, erschien mir jetzt weniger gefährlich. Ich zog meine Schuhe aus und rollte die Hosenbeine hoch. Justin tat es mir nach und stellte seine Schuhe neben meine in den Sand.
Ich fragte ihn, was Erics Rolle in der Widerstandsgruppe war. Daraufhin erklärte er mir genauer, was die Fluchthelfer taten, um Leute wie mich zu retten, die gegen das DS-System rebelliert hatten.
»Weißt du, was bei der Umerziehung passiert?«, fragte ich.
Er schüttelte den Kopf und konnte mir nur sagen, dass schwer erziehbare Teenager zur ›Wiedereingliederung‹ in spezielle Kliniken gebracht wurden. Dort blieben sie so lange, bis sie keine Gefahr für die Gesellschaft mehr darstellten; mit anderen Worten, bis man ihren Widerstandsgeist gebrochen hatte.
»Als wenn es eine Krankheit wäre, eine eigene Meinung zu haben«, sagte er. »Davon kann man die Leute nicht heilen. Es gehört einfach zur menschlichen Natur.«
Ich betrachtete ihn. »Hast du am Anfang auch als Fluchthelfer gearbeitet?«
»Ja, für eine Weile«, sagte er. »Man lernt eine Menge, vor allem Selbstdisziplin, aber dann wurde es mir zu routiniert und voraussehbar. Inzwischen besteht meine Rolle vor allem darin, die Fluchthelfer aus der Ferne zu steuern, wie ich es bei dir und Eric getan habe.«
Routiniert und voraussehbar , dachte ich. So hätte ich die beidenAbfangmanöver, in die ich verwickelt gewesen war, kaum beschrieben. Ich wollte lieber gar nicht wissen, was Justin als überraschend einstufte.
»Man sammelt die Zielperson ein, fährt acht Stunden durch die Gegend, versteckt sich in einem Keller … nicht sehr interessant«, sagte er.
»Justin, die Polizei hat auf uns geschossen«, erinnerte ich ihn.
Er lachte. »Ja, aber davon stirbt man nicht gleich. So steht es schließlich im Gesetz: Schusswaffen dürfen nur noch betäubende Wirkung haben. Ein Kugelhagel ist heutzutage nicht gefährlicher als eine Dosis Schlafpillen. Das ist ein Teil der Bemühungen, die Gesellschaft friedlicher zu machen, und ausnahmsweise bin ich der Meinung, dass dieses Gesetz eine gute Idee war.«
Ich blieb stehen, um den Himmel zu betrachten, und Justin tat es mir nach. Schweigend standen wir nebeneinander. Wolken zogen über den Horizont und wurden von der untergehenden Sonne beleuchtet, die das Meer in metallisch blaues und silbrig violettes Licht tauchte. Ein kalter Wind wehte vom Wasser zu uns her und Justin zog sich die Kapuze über den Kopf. Er vergrub die Hände in den Taschen und sah mich an.
»Die letzten vierundzwanzig Stunden müssen für dich eine ziemliche Achterbahnfahrt gewesen sein«, stellte er fest.
»Mein ganzes Leben ist eine Achterbahnfahrt, seit ich dich getroffen habe«, gab ich zurück.
»Und wie fühlst du dich dabei?« Sein Blick war ganz und gar offen.
Mit einem ironischen Lächeln fegte ich mit dem Fuß durch den Sand. »Bestimmt hast du diese Situation schon hundertmal erlebt. Wie halte ich mich denn im Vergleich zu anderen Mädchen?«
»Was soll das jetzt heißen? Also, die meisten Leute in deiner Situation erlauben sich ein bisschen mehr Panik. Sie sind wütend, ängstlich, erleichtert oder brechen in Tränen aus. Jedenfalls zeigensie Gefühle. Du musst nicht die ganze Zeit so kontrolliert sein, weißt du?«
Ich starrte ihn an. »Vielleicht stehe ich noch unter Schock.«
»Oder vielleicht bist du nicht daran gewöhnt, eine ehrliche Reaktion zu zeigen. Vielleicht hast du anderen Menschen schon so lange nur erzählt, was sie hören wollten, dass du gar nicht mehr weißt, wie man unabhängig denkt. Vielleicht kannst
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