Die Rebellion der Maddie Freeman - Kacvinsky, K: Rebellion der Maddie Freeman - Awaken
du nur noch durch einen Bildschirm kommunizieren, weil das einfacher ist, als Leuten in die Augen zu sehen.«
»Hey, wieso gehst du plötzlich auf mich los?«
Seine Miene wurde sanfter. »Tut mir leid«, sagte er. »Ich habe nur den Eindruck, dass du dich nicht öffnest, weil du für Ehrlichkeit bisher immer getadelt oder bestraft wurdest. Und so sollst du dich in meiner Nähe nicht fühlen. Du hast einen Kopf zum Denken und einen Mund zum Sprechen, also benutz sie auch.«
Ich wandte mich ab und verschränkte die Arme vor der Brust. Mir fiel keine Erwiderung ein, weil er völlig recht hatte. Zum ersten Mal seit Jahren interessierte es jemanden, was ich tatsächlich dachte. Ich musste nicht länger auf Zehenspitzen um meinen Vater herumschleichen und mit Mom nur im Flüsterton über meine Gefühle reden, als seien sie ein schmutziges Geheimnis.
Während ich darüber nachdachte, schlenderte ich weiter den Strand entlang.
»Du kannst mir ruhig erzählen, was in deinem Kopf vorgeht«, sagte Justin hinter mir. »Ich bin nicht dein Vater. Wenn du mir deine Meinung sagst, bekommst du keinen Hausarrest.«
Ich drehte mich um und funkelte ihn an. »Schon gut«, knurrte ich.
Er erwiderte meinen Blick. »Wenn du etwas loswerden musst, höre ich dir gerne zu. Glaub mir, alles in sich hineinzufressen funktioniert auf Dauer nicht. Irgendwann bricht man darunter zusammen.«
Ich atmete tief durch. Offenbar verstand er nicht, dass in diesemMoment, allein mit Justin in der freien Natur, meine Gedanken und Gefühle überhaupt nichts mit meinen Eltern oder meiner Situation zu tun hatten. In meinem Kopf schien sich alles nur um eine Person zu drehen, kreiselnd wie ein Meeresstrudel oder wie das wiederkehrende Rauschen der Wellen … nämlich um Justin. Es fühlte sich an, als müsse ich nur zu ihm durchdringen, um das wichtigste Rätsel meines Lebens zu lösen.
»Okay«, sagte ich. »Du willst wissen, was mich wirklich fertigmacht? Mehr als alles andere? Das bist du!«
»Ich? Was habe ich denn getan?«
»Die ganze Zeit hilfst du anderen Menschen und dafür beten sie dich geradezu an. Alle vertrauen dir und vergöttern dich. Aber du lässt keinen von ihnen an dich heran. Ich habe mir das lange genug angesehen. Du hast eine innere Mauer errichtet und schließt damit alle aus, sogar deine Freunde. Als ob es eine unsichtbare Linie gäbe, die niemand übertreten darf.«
Er betrachtete mich viel zu lange und das Licht des Sonnenuntergangs färbte seine Augen goldbraun. Nachdenklich nickte er.
»Du hast recht.«
Ich blinzelte überrascht. »Ach, ehrlich?« Nie hätte ich erwartet, dass er so leicht nachgeben würde.
»Ich kann es mir nicht erlauben, mich an Menschen zu binden«, sagte er schlicht, als müsse das alle meine Fragen beantworten.
»Warum nicht?«
Er warf mir einen genervten Blick zu, dann drehte er sich um und marschierte den Strand entlang. Ich beeilte mich, ihn einzuholen.
»Hey«, sagte ich. »Du bist doch derjenige, der behauptet hat, man müsse seine Gefühle offen zeigen. Wirklich interessant«, überlegte ich laut, »du kannst in der Theorie alles so schön erklären, aber wenn es um dich selbst geht, benimmst du dich plötzlich …«
»Eingeschnappt?«, beendete er meinen Satz. »Ich habe dirdoch schon gesagt, warum ich als Freund nicht geeignet bin. Auf mich kann man sich nicht verlassen. Dazu muss ich an zu vielen Orten gleichzeitig sein.«
Ich schüttelte den Kopf. »Das ist nicht wahr. Ich verlasse mich auf dich. Mehr als auf jeden anderen Menschen.«
Justin blieb stehen und seine Augen waren hart geworden. »Damit solltest du schleunigst aufhören.«
»Warum?«, fragte ich.
»Mein Leben …«, er brauchte einen Moment, um nach den passenden Worten zu suchen, »ist nicht normal.«
»Na und? Jeder Mensch hat seine Probleme. Aber willst du dich wirklich von ihnen beherrschen lassen? Das passt gar nicht zu dir!«
In seinen Augen las ich Überraschung und sein Gesicht hellte sich auf. »Na, bitte. Fühlt es sich nicht toll an, dass du mir gerade deine Meinung sagst?«
Jetzt musste ich grinsen. Es war tatsächlich ein gutes Gefühl. Mein Körper kam mir plötzlich leichter vor, als könnten zu viele schwere Gedanken den Geist vergiften, wenn man ihn nicht regelmäßig durchputzte.
»Ich wohne in vierzig verschiedenen Städten«, sagte er. »Ich fahre Dutzende Autos. Ich schlafe nur, wenn ich gerade Zeit dazu habe. Man kann sich im Leben nur eine begrenzte Zahl an Verpflichtungen leisten und ich habe
Weitere Kostenlose Bücher