Die Rebellion der Maddie Freeman - Kacvinsky, K: Rebellion der Maddie Freeman - Awaken
meine Wahl getroffen. Freunde wären eine zusätzliche Verpflichtung. Ich habe weder die Zeit noch die Energie dafür.«
»Kann ja sein, dass du bisher nur diesen Lebensstil kennst, aber deshalb muss es doch nicht immer so bleiben.«
Justin holte lange und tief Luft, bevor er antwortete. »Ich liebe meine Arbeit. Ist dir klar, wie vielen Leuten ich schon geholfen habe, die genau wie du in Schwierigkeiten steckten? Hunderten. Vielleicht Tausenden. Inzwischen gelingt es uns, die Hälfte der Menschen abzufangen, die zur Umerziehung geschickt werdensollen. Ich will mein Leben nicht mit etwas anderem verbringen. Jeden Tag verlieren wir mehr von unserer Freiheit, Maddie. Gegen die Digital School zu kämpfen ist für mich das Wichtigste, was es gibt. Und es ist nun einmal so, dass man mit jeder Wahl auf andere Möglichkeiten verzichten muss.«
»Ist dir klar, was du aufgibst?«
Er machte eine ungeduldige Handbewegung, als sei die Antwort offensichtlich. »Freundschaft, Liebe, Beziehungen. Ich kann nicht diese Art von Leben führen und von einer Partnerin erwarten, dass sie sich damit begnügt, mich höchstens einmal im Monat zu sehen. Das will ich niemandem antun. So selbstsüchtig bin ich einfach nicht, schließlich weiß ich genau, dass meine Arbeit immer an erster Stelle stehen wird.«
Fast verzweifelt versuchte ich ihn zu überzeugen. »Willst du behaupten, nur weil du es als deine Bestimmung ansiehst, anderen Menschen ein besseres Leben zu schenken, darfst du dein eigenes nicht genießen?«
Er kniff die Lippen zusammen. »Mein Leben gefällt mir sehr gut.«
»Obwohl du dir nicht erlaubst, menschlich zu sein? Du hast selbst gesagt, eines unserer Grundbedürfnisse …«
»Ich habe meine Wahl getroffen. Von Anfang an habe ich mir geschworen, niemanden in mein Leben hineinzuziehen. Ich arbeite besser allein.«
Sein Tonfall sagte mir, dass die Diskussion für ihn beendet war. Ich wandte mich ab, starrte auf das Wasser und versuchte seine Worte zu verstehen. Justin hatte mich wachgerüttelt und mich eine Welt erleben lassen, die mir bis dahin verschlossen gewesen war. Vielleicht brauchte er jemanden, der das Gleiche für ihn tat.
Niemand durchschaute mich besser als Justin. Zum ersten Mal kam mir der Gedanken, dass ich vielleicht als Einzige störrisch genug war, um zu versuchen, seine Mauern zu durchbrechen und auch ihn zu verstehen.
Ich schaute zu, während die Sonne unter den Horizont sank und die Wolken aufleuchten ließ wie ein orangefarbenes Kaminfeuer.
»Diesen Moment mag ich am liebsten«, sagte Justin.
Er setzte sich in den Sand, und ich hockte mich neben ihn, zog die Knie an und schlang die Arme darum. Der Wind wurde stärker, also zog ich die geliehene Wollmütze aus meiner Jackentasche und stülpte sie über den Kopf. Schweigend saßen wir nebeneinander und betrachteten das Meer, den Himmel und die Wolken, die ihre magischen Kunststücke für uns aufführten. Ich stellte mir vor, ich könnte meine Probleme in die Wellen werfen und von ihnen zu Schaum schlagen lassen, eines nach dem anderen, sodass sie für immer verschwanden. Der gleichmäßige Rhythmus der Meereswogen war entspannend, fast hypnotisch. Ich ließ mich ein bisschen tiefer in den Sand sinken und war mir sehr bewusst, dass sich Justin nur Zentimeter von mir entfernt befand. Mit einem Seitenblick stellte ich fest, dass er in der gleichen Haltung neben mir hockte, die Arme um die Knie geschlungen, die Augen auf das Farbspektakel am Horizont gerichtet.
»Genau dafür kämpfe ich. Für Momente wie diesen.« Mit brennendem Blick schaute er den Strand entlang. »Sieh dich doch um, hier ist alles verlassen.«
Ich stellte fest, dass er recht hatte. Wenn ich nach Norden und Süden schaute, sah ich keine Menschenseele. Niemand außer uns war da, um den Sonnenuntergang zu genießen.
»Das hier ist die reale Welt, direkt vor unserer Nase, aber die Leute bemerken sie nicht einmal mehr. Das Draußen ist ihnen so fremd wie ein entfernter Verwandter, den man nur von Bildern und aus Erzählungen kennt. Man begegnet sich nie wirklich. Man lernt sich nie richtig kennen. Genauso geht es den Menschen mit der Welt, in der sie leben. Weil alle sich in ihren Häusern abgeschottet haben. Sie kennen das Meer, haben esaber nie selbst gesehen. Sie kennen die Sonne, haben sie aber nie auf der Haut gespürt. Dabei ist der Sinn des Lebens doch, Momente wie diesen zu erfahren«, sagte er und hielt seine geöffneten Hände dem Sonnenuntergang entgegen, als könnte er
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