Die Rebellion
haben.
Michael sprang vom Barren und wischte sich mit dem Handrücken den Schweiß von der Stirn. Damals war ihm die Hochzeit als hervorragende Idee erschienen, doch inzwischen begann er sich zu wünschen, er wäre bei seinem Beruf als Buchhalter geblieben. Bei Zahlen wußte man stets, woran man mit
ihnen war. Wenn man seine Arbeit vernünftig erledigte, dann
addierten sie sich zu einer einzigen, nicht zu leugnenden Summe. Keine Argumente, keine Meinungen, kein Zwang, auf das
Rücksicht zu nehmen, was irgend jemand anderes sagte. Das
Leben in den Familien war da ganz anders.
Die Antwort auf jede Frage schien abhängig zu sein von
demjenigen, mit dem man gerade sprach. Und der Himmel
mochte einem helfen, wenn man etwas Falsches sagte. Oder
schlimmer noch, sich einen Dreck darum scherte. Jeder intrigierte mit jedem, und wenn man sich für die falsche Seite entschied, war der Tod oftmals noch der einfachste Weg zu verlieren. Nicht, daß man sich für eine Seite hätte entscheiden können. Allein die Zugehörigkeit zu einem Clan führte bereits dazu, daß man Fehden, Streitigkeiten und Haß erbte, die oft Jahrhunderte zurückreichten. Michael seufzte und dachte an seine
nächste Übung. Fünfzig Klappmesser. Zur Hölle damit. Sollte
der Bauch halt erschlaffen. Er würde schnell genug merken, ob
es ihn störte. Er seufzte erneut.
»Was ist los, Liebster?«, fragte Lily Wolf von der Tür her.
Michaels Kopf ruckte herum. Lily Wolf, die unfreiwillige
Gattin Daniels, stand in ihrer Lieblingspose im offenen Eingang. Ein Bein vorgeschoben, die Brust herausgedrückt, den
Kopf leicht nach hinten gelegt, wie geschaffen, seinen Blick
auf ihren Körper zu ziehen, auf den großgewachsenen, geschmeidigen Leib, den gesamten Weg die sagenhaft langen
Beine hinauf bis zu ihrem Schmollmund. Lily steckte in einem
ihrer zahlreichen heidnischen Hexengewänder, alles wogende
Seide und irdene Farben, die ihre vornehme Blässe noch betonen sollten. Sie hatte die gewohnte silberne Perücke gegen eine
hellrote Lockenmähne getauscht, die nicht wirklich zu ihr paßte, aber wahrscheinlich dazu gedacht war, ihr ein zigeunerhaftes Flair zu verschaffen. Es spielte keine Rolle. Lily war wunderschön. Sie war immer wunderschön. Michael lächelte unwillkürlich. Jedesmal, wenn er sie erblickte, verliebte er sich
aufs neue bis über beide Ohren in sie, auch wenn es genauso
gefährlich war, als würde er eine scharfe Granate an seine
Brust drücken. Jeder findet einmal in seinem Leben eine wahre
Liebe. Jemanden, der die Tage erleuchtet und die Knochen
weich macht wie Wachs, und so wahr Gott ihm half, Michaels
große Liebe war Lily. Er griff nach einem Handtuch und
wischte sich den Schweiß aus dem Gesicht.
»Was führt dich her, Lily?« sagte er schließlich und gab sich
alle Mühe, gelassen zu klingen, obwohl sein Puls bereits raste.
»Ich hätte geschworen, daß du nicht einmal von der Existenz
dieses Raumes weißt. Und ich habe dir schon einmal gesagt:
Nenn mich nicht in der Öffentlichkeit Liebster. Es ist viel zu
unsicher.«
Lily zuckte die Schultern. »Ich bin nur an einer einzigen Art
von Leibesübungen interessiert. Alles andere ist nur eine Verschwendung von gutem Schweiß. Und ich hatte auch noch nie
übermäßiges Interesse daran, sicher zu sein. Kommst du jetzt
her und gibst mir einen Kuß, oder muß ich dich erst holen?«
Michael warf das Handtuch über die Schulter und ging lässig
zu seiner Geliebten. Es war wichtig für ihn, wenigstens ein
bißchen Kontrolle zu behalten, selbst wenn er wußte, daß er sie
im gleichen Augenblick verlieren würde, wo er Lily in die Arme schloß. Michael mußte den Kopf in den Nacken legen, um
sie zu küssen. Sie war beinahe fünfzehn Zentimeter größer als
er, doch das hatte ihn nie gestört. Es bedeutete lediglich, daß
mehr an ihr war, das er lieben konnte. Und als er sie in die Arme schloß wie eine kostbare Blume und ihr Parfüm in seine
Nase stieg wie eine berauschende Droge, dann war ihm alles
egal außer Lily.
Lily sagte immer, sie wären füreinander geschaffen. Sein
dunkler Teint bildete einen wunderbaren Kontrast zu ihrer bleichen Gesichtsfarbe, wie zwei Seiten ein und derselben Münze.
Sie waren Seelenverwandte, die sich gesucht und gefunden
hatten, und nichts auf der Welt konnte sie trennen. Lily sagte
eine Menge solcher oder ähnlicher Dinge, aber in der Regel
hörte er gar nicht zu. Es reichte vollkommen, daß sie bei ihm
war. Michael gehörte
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