Die Rebellion
mörderischen Sandes war er stolz
darauf, noch so gut in Form zu sein. Allein der Aufstieg hätte
jeden anderen umgebracht. Finlay dehnte die Muskeln in Armen und Beinen und verdrängte den Schmerz. Er war beinahe
an seinem Ziel. Nur noch ein wenig höher. Vorsichtig schwang
er sich an der Statue vorbei nach draußen und setzte seinen
Weg über die Fassade fort, während er jeden Vorsprung als
Halt und Stütze ausnutzte. Vergiß den Schmerz in den brennenden Muskeln und deinem Rücken. Vergiß den unsicheren
Halt, den schneidenden Wind und den langen Sturz nach unten.
Klettere einfach weiter, Fuß um Fuß, sei wachsam und konzentriere dich auf deine Mission … und auf den Mord, den du auszuführen hast.
Die meiste Zeit seines Erwachsenenlebens hatte die Welt
Finlay Feldglöck nur als Stutzer gekannt. Stets auffällig bei
Hofe und eine einzige große Enttäuschung für seinen Vater,
einen berühmten Soldaten. Niemand hatte von seinem Geheimnis gewußt, von seinem zweiten Leben als Maskierter
Gladiator auch nur geahnt, unbesiegter Champion der Arena Golgathas – mit Ausnahme des Mannes, der sein Trainer war,
und der Frau, die ihn liebte. Als die Umstände ihn gezwungen
hatten, um sein Leben zu fliehen, hatte Finlay dem Untergrund
sein Können als Kämpfer enthüllen müssen. Es war die einzige
Münze gewesen, mit der er ihre Anerkennung hatte kaufen
können. Im Untergrund gab es keinen Platz für Mitläufer. Ganz
besonders dann nicht, wenn man weder Klon noch Esper war,
sondern Mensch und sonst nichts. Bloß Mensch. Der Untergrund hatte Finlay auf eine Mission gesandt, allein und ohne
Unterstützung, damit er seinen Wert beweisen oder sterben
konnte, und als Finlay mit einer blutigen Spur und dem Sieg in
der Tasche zurückgekehrt war, da hatten sie einfach mit den
Schultern gezuckt und ihn im Untergrund aufgenommen. Aber
sie wußten dennoch nichts von seiner geheimen Identität als
Maskierter Gladiator. Es ging sie nichts an.
Finlay hatte ihnen auch nichts von seiner Not erzählt, der
Sucht nach Nervenkitzel, Gewalt und plötzlichem Tod, die ihn
vorderhand in die Arena getrieben hatte. Es gab Zeiten, da
fühlte Finlay sich nur lebendig, wenn er anderes Leben vernichtete. Evangeline Shreck hatte dazu geschwiegen, wenn sie
bei ihm gewesen war, oder sich damit abgefunden. Ihre Liebe
war alles gewesen, was Finlay gebraucht oder sich jemals gewünscht hatte. Doch die Zeit, die die beiden miteinander
verbringen konnten, waren immer nur kurze verstohlene Augenblicke gewesen. Ihre Familien lagen bereits seit Generationen miteinander im Streit. Die beiden jungen Liebenden hatten
stets gewußt, daß sie niemals auf eine gemeinsame Zukunft
hoffen durften. Aber anstatt sie zu ersticken, hatte diese Vorahnung auf geheimnisvolle Weise die Flamme ihrer Liebe nur
noch stärker entfacht, und der Mann, der einst nur lebte, um
andere zu töten, lebte heute für die Augenblicke des Friedens,
den er in Evangelines Armen fand.
Doch jetzt hatte Finlay sich in den Untergrund verkrochen,
und Evangeline war in die Welt darüber zurückgekehrt, in den
Turm der Shrecks und zu ihrem entsetzlichen Vater. Ihre Position und ihre Verbindungen zu den Bewohnern der pastellfarbenen Türme machten Evangeline zu wertvoll, als daß sie sich
so lange zurückziehen konnte, wie sie wollte. Also hatten die
Liebenden sich ein letztes Mal umarmt und mit den Tränen
gekämpft, als sie sich mit erstickten Stimmen voneinander verabschiedet hatten. Finlay hatte Evangeline begleitet, so weit er
konnte, dann war er stehengeblieben und hatte ihr hinterhergesehen, bis sie in der Ferne verschwunden war. Sie hatten sich
versprochen, sich wiederzusehen, aber keiner von beiden
glaubte wirklich daran. Happy-Ends waren anderen Menschen
vorbehalten. Finlay Feldglöck ging allein zurück in den Untergrund, und wenn ein Teil von ihm an diesem Tag gestorben
war, so behielt er es für sich. All das hatte jedoch nichts damit
zu tun, daß Finlay der Mörder war, den der Untergrund so
dringend für seinen Kampf benötigte.
Finlay hätte sich nie als Rebellen betrachtet. Er hatte nie über
die Gesellschaft nachgedacht, in der er sich bewegt hatte, jedenfalls nicht mehr, als ein Fisch über das Wasser nachdenkt,
in dem er schwimmt. Finlay hatte seine Privilegien immer als
selbstverständlich hingenommen, und er hatte sich nie einen
Dreck um diejenigen geschert, deren Arbeit und Leid sein Leben erst ermöglichten. Er war ein
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