Die Rebenprinzessin
hoffe ich, dass es auf der Katzenburg der Fall sein wird.«
Der Fährmann musterte ihn daraufhin lange, und fast schien es Martin, als wollte er seine Gedanken durchdringen.
»Dann gib auf dich acht, mein Junge! Drüben vertraut man den Menschen von dieser Seite des Flusses nicht.«
»Das ist mir bekannt«, entgegnete Martin, während er versuchte, seine Unruhe zu unterdrücken. Zum einen gefiel es ihm nicht, auf dem Fluss zu sein, denn seine Schwimmkünste waren mangelhaft. Zum anderen wurde ihm der Flößer mit jedem Augenblick unheimlicher. Erst recht, als er weiterredete.
»Solltest du in Schwierigkeiten geraten, kannst du entweder weiter ins Land gehen oder hoffen, dass ich gerade auf deiner Seite des Flusses bin. Bin ich es nicht, wird alles Rufen nichts nützen, denn bei der Breite des Flusses werde ich dich kaum hören.«
Adam musterte ihn bei diesen Worten so eindringlich, als könnte er hinter Martins Stirn schauen.
»Ich habe nicht vor, irgendwelchen Ärger zu machen«, entgegnete er daher rasch, doch der Blick des Fährmanns schien etwas anderes zu sagen.
Allerdings enthielt er sich weiterer Worte und stakste das Floß in Richtung Ufer.
Als sie dort ankamen, hatte sich die Sonne hinter die Berge zurückgezogen. Sie strahlte noch immer, aber der Wald, der die Anhöhen bedeckte, wirkte nun wie der Pelz eines dunklen Tiers, das sich auf dem Berg schlafen gelegt hatte. Sein Schatten reichte zum Teil weit bis über den Fluss.
Die Anlegestelle glich jener auf der anderen Seite bis auf die letzte Schindel, und Martin kam auf einmal der Gedanke, dass man gar nicht so genau sagen konnte, zu welcher Seite der Flößer gehörte. War er dem Grafen von Katzenburg zugetan oder dem Grafen von Bärenwinkel?
Martin wünschte sich, mehr über diesen Mann zu wissen – erst recht, da er ihn während der Überfahrt immer wieder prüfend gemustert hatte.
Als das Floß gegen das Ufer stieß, sicherte Adam es mit geübten Handgriffen. Martin reichte ihm daraufhin seinen Lohn.
»Ich werde noch eine Weile hier sein«, erklärte der Flößer, nachdem er auf die Münzen gebissen hatte, um sie auf ihre Echtheit zu überprüfen. »So lange, bis jemand begehrt, übergesetzt zu werden. Für den Fall, dass du es dir anders überlegst, kann ich dich auch schnell wieder mit zurück nehmen.«
Der Fall wird nicht eintreten, dachte Martin, entgegnete aber laut: »Habt Dank für das Angebot. Ich werde zunächst mein Glück auf der Burg versuchen und danach weitersehen.«
Der Mann nickte, dann ließ er sich auf einem Baumstumpf nieder und setzte seine Schnitzarbeit fort. Martin wandte sich dem schmalen Weg zu, der den Berg hinauf führte, und obwohl er hörte, wie Adam gleichmäßig Span um Span von dem Holzstück abhobelte, hätte er schwören können, dass der Blick des Mannes ihn bis in den Wald hinein verfolgte.
»Nein!«
Schweißüberströmt schreckte Bella aus dem Schlaf. Der Donnerhall, den sie soeben noch zu vernehmen meinte, wich augenblicklich von ihr zurück und wurde zu einer Stille, die nur von leisem Grillenzirpen, dem Raunen des Windes und ihrem eigenen furchtsamen Keuchen durchbrochen wurde.
Wieder hatten sie die Bilder jener Nacht verfolgt, als ihre Mutter starb. Sie hatte ihren Vater vor sich gehabt, wie er mit blutigen Kleidern in ihrer Tür gestanden hatte. Und wieder hatte sie in das totenblasse Gesicht der Gräfin geblickt. Jenes Gesicht, das ihr noch Stunden zuvor zugelächelt hatte und dann vergangen war wie eine Kerze, die von einem Windzug gelöscht wurde.
Es dauerte eine ganze Weile, bis Bella realisierte, dass sie noch immer im Kloster war. Dass sie nicht mehr die Zehnjährige war, die gerade ihre Mutter verloren hatte.
Mit einem Aufstöhnen ließ sie sich wieder auf die Pritsche sinken und rieb sich müde die Augen. Erst jetzt bemerkte sie, dass sie im Schlaf geweint haben musste, denn Tränen benetzten ihre Wangen.
Es war schon eine Weile her, dass sie dieser Traum verfolgt hatte. In der ersten Zeit hatte er sie beinahe ständig heimgesucht, manchmal so heftig, dass sie im Schlaf geschrien und damit sämtliche Schwestern aus den Nachbarzellen gelockt hatte.
Danach war eine Zeit der Ruhe gefolgt. Natürlich hatte sie zuweilen von ihrer Burg geträumt, manchmal auch von ihrem Vater, aber diese Träume hatten nichts Beunruhigendes an sich, und es fiel Bella leicht, danach weiterzumachen wie bisher.
Doch nun war der Schatten ihrer Vergangenheit zurückgekehrt. Vielleicht, weil sie nach Hause
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