Die Rebenprinzessin
Schatten eine Tasche hervor. Sie war aus braunem, verschlissen wirkendem Leder gefertigt und sah aus, als gehörte sie einem Wanderburschen.
Es stimmte also, er musste sofort aufbrechen.
»Wo soll ich Euch treffen, wenn ich etwas in Erfahrung gebracht habe?«
»Ich werde jeden Freitag an der großen Eiche im Gehölz des Grafen von Katzenburg warten, und zwar von der zehnten Abendstunde an bis um Mitternacht. Erscheint Ihr nicht, gehe ich davon aus, dass Ihr keine Neuigkeiten zu berichten habt.«
»Was, wenn ich in Schwierigkeiten gerate?«
»Wenn Ihr es geschickt anstellt, wird es nicht passieren«, gab der Spion höhnisch zurück. »Ohnehin solltet Ihr Auffälligkeiten vermeiden. Mischt Euch unter die Leute, hört zu und fangt nach Möglichkeit keinen Streit an.«
So hast du es also angestellt, mir nachzuschnüffeln, ging es Martin durch den Sinn, doch er schaffte es, seine Miene ungerührt wirken zu lassen.
»Solltet Ihr dennoch den Verdacht haben, dass man Euch erkannt hat, gebt mir Bescheid, ich werde die Nachricht dann Eurem Vater zukommen lassen.«
Und der wird mich im Kerker des Grafen von Katzenburg verrotten lassen, dachte Martin, als er die Tasche schulterte.
Während sie über den Burghof eilten, gab Giacomo seinem Schützling noch so manchen Rat im Hinblick auf den Auftrag, die allerdings beiläufig an Martin vorüberzogen. Er hatte nicht vor, sich ein Leben lang als Spion seines Vaters zu verdingen. Für die Aufgabe, die der Graf ihm gegeben hatte, reichte es gewiss, Augen und Ohren offen zu halten.
Hoffentlich gibt es ein Geheimnis, ging es Martin durch den Sinn. Oder zumindest eine Hexe. Sonst fällt es meinem Vater irgendwann doch noch ein, mich mit Gunhilda zu vermählen.
Obgleich Gunhilda von Rodenfels gewiss schon den fünften Ehegatten verschlissen hatte, war sie nicht missgestaltet. Sicher, ihre Haut sah aus wie ein blasser Käselaib, und ihr Haar glich einer Pferdemähne. Dennoch konnte man darauf hoffen, dass auch ihre Kinder, so sie jemals welche empfangen sollte, nicht gerade mit einem Buckel oder Hörnern geboren werden würden.
Außerdem, und das war für Martins Vater womöglich das Hauptargument, war die Familie Rodenfels wohlhabend. Eine Ehe wäre für den Grafen von Bärenwinkel sicher nicht von Nachteil. Doch darauf hatte Martin nicht die geringste Lust.
Seufzend sehnte er sich nach Rosalinas Armen, und der Gedanke an Flucht kam ihm wieder in den Sinn. Was wäre, wenn er einfach nicht zur Katzenburg ging?
Die Antwort kannte er nur zu gut.
Wenn es sein Vater herausfand, würde er ihm umgehend den Italiener nachsenden. Nicht nur, dass Giacomo ihn selbst im engsten Mauseloch aufstöbern würde. Sobald man seiner habhaft geworden war, würde man ihn vor den nächsten Altar schleifen, und dann konnte er seine restlichen Tage mit Gunhilda verbringen. Der einzige Trost würde darin bestehen, dass es dann nicht mehr viele Tage waren, denn selbst Männer, die noch voller Lebensfreude waren, wurden in ihrem Bett binnen kurzem hinweggerafft.
»Nun denn, junger Herr, ich werde am kommenden Freitag am Treffpunkt warten«, waren die ersten Worte, die Martins Verstand wieder durchdrangen. »Kommt nur, wenn Ihr etwas zu berichten habt, und geht kein zu großes Wagnis ein.«
»Keine Sorge, das werde ich nicht.«
Martin nickte dem Spion zu und blickte sich im Torbogen noch einmal nach der Burg um. Irgendwie hätte er erwartet, seinen Vater am Fenster zu erblicken, denn der Graf schickte seinen Sohn immerhin direkt in die Höhle des Löwen. Aber die Fenster waren wie tote Augen, leer, kalt und abweisend.
Der Weg zur Fähre war ganz ausgetreten von den zahlreichen Füßen und Pferdehufen, die ihm schon gefolgt waren. Er führte an mächtigen Bäumen vorbei und durch dichtes Gestrüpp. Vogelgezwitscher ertönte über Martin, und zu seinen Füßen suchte ein Fuchs gerade das Weite. Ein paar Krähen zogen krächzend über die Baumkronen hinweg und wiesen ihm den Weg zur Anlegestelle.
Die Fähre war die einzige weit und breit. Zwar hatte der Graf ein eigenes riesiges Floß, mit dem wenn nötig mehrere Männer samt Pferden transportiert werden konnten. Aber für seine Überfahrt wäre das zu viel des Guten gewesen. Hätten die Katzenburger mitbekommen, dass er mit großem Aufwand übersetzte, hätte sie das gewiss misstrauisch gemacht.
Also war Martin wie jeder, der ans andere Ufer übersetzen wollte, auf den Dienst des stämmigen rothaarigen Mannes mit der Augenklappe angewiesen,
Weitere Kostenlose Bücher