Die Rebenprinzessin
geblieben zu sein?
Nachdem sie die Wände mit ihrem Blick ausreichend abgetastet hatte, wandte sie sich dem Gepäck zu. Sie breitete ein Tuch auf dem Bett aus und legte hinein, was ihr an Habe geblieben war.
Viel war es nicht. Den Kleidern, in denen sie hergekommen war, war sie längst entwachsen, dementsprechend hatte sie die Gewänder an Kinder in der Umgebung verschenkt. Nur ein feines, mit Perlen besticktes Haarband und eine edelsteinbesetzte Anstecknadel ihrer Mutter hatte sie behalten. Diese hatten ihr Halt gegeben, wenngleich sie die Sachen nur heimlich betrachten durfte. Die Mutter Oberin duldete nicht, dass eine Schwester mehr Besitz hatte als eine andere, das galt auch für die Schülerinnen und Mündel.
Versonnen strich Bella mit dem Finger über die Edelsteine und erinnerte sich an das Versprechen ihrer Mutter, dass sie diese Nadel zu ihrer Hochzeit tragen dürfe. Dann drängte sie die Erinnerung beiseite und ließ die Kostbarkeit in dem kleinen, seidenen Hemd verschwinden, das sie als einziges Kleidungsstück aus Kindertagen zurückbehalten hatte.
Als sie mit dem Packen fertig war, blickte sie erneut aus dem Fenster. Der Tag hatte begonnen.
Wenige Atemzüge später läutete die Glocke, um die Schwestern aus ihren Zellen zur Laudes zu rufen.
Obwohl sie es eigentlich nicht mehr nötig gehabt hätte, verließ Bella folgsam ihre Zelle und schloss sich den verschlafen wirkenden Gestalten in den groben Leinenhemden an. Hin und wieder trafen sie verstohlene und fragende Blicke, doch niemand sagte etwas zu ihr.
In der kleinen Kapelle erwartete die Mutter Oberin sie bereits, der ebenfalls die Müdigkeit ins Gesicht geschrieben stand. Ein wenig verwundert blickte sie Bella an, denn offenbar hatte sie nicht mit ihrem Erscheinen gerechnet. Doch dann lächelte sie gütig und begann mit dem Gottesdienst.
Nach dem Gebet begab sich Bella ebenso wie die anderen Frauen wieder in ihre Zelle. Während die Schwestern gleich ihr Tagwerk beginnen würden, setzte sich die junge Frau auf die Pritsche und ließ ihre Gedanken im Morgenlicht schweben.
Die Sonne erhob sich aus einem Bett aus zartem Rosa, und ihre Strahlen brachten die Tautropfen auf den Weinstöcken zum Glitzern, so dass Bella das Gefühl hatte, ein Meer von Edelsteinen bedecke den Hang.
Das Vogelgezwitscher schwoll an und wurde zu einem vielstimmigen Konzert, das den Wind vertrieb und das Kloster wie ein zarter Schleier umhüllte.
Noch nie war ihr ein Morgen so schön erschienen wie dieser. Wie es wohl jetzt bei ihr zu Hause aussah? Glitzerte der Tau ebenso schön auf den Dächern der Burg?
Das Geräusch von Pferdehufen, die über das Pflaster klapperten, und das Getöse von eisenbeschlagenen Wagenrädern holten sie aus ihrem Nachdenken fort. Es war so weit. Die Kutsche ihres Vaters traf ein.
Erwartung ließ Bellas Herz schneller schlagen. Bald kann ich wieder durch unseren Weinberg spazieren, dachte sie freudig. Und an Mutters Grab beten. Es gibt so vieles, was ich ihr erzählen muss!
Es dauerte nicht lange, bis jemand beinahe schon zaghaft an ihre Türe klopfte.
»Komm rein«, antwortete Bella und nahm das Bündel vom Bett auf.
Anna trat durch das Türgeviert. Auf ihren Wangen brannten aufgeregte Flecke, als sie verkündete: »Gnädiges Fräulein, die Kutsche!«
Bella musste lächeln. »Warum nennst du mich auf einmal gnädiges Fräulein?«
»Na ja, weil du …«
»Ich bin immer noch ich. Oder siehst du in diesem Gewand etwa einen anderen Menschen?«
Anna schüttelte schüchtern den Kopf.
»Na also, dann sag doch wie immer Bella zu mir.«
Sie nahm das Mädchen in den Arm. »Du und deine Neugierde werden mir auf der Burg fehlen.«
»Wirklich?«, fragte Anna unsicher.
»Wirklich. Vielleicht sehen wir uns irgendwann einmal wieder.«
»Wenn du das Kloster besuchst, ganz sicher. Ich glaube kaum, dass sich ein Bräutigam für mich finden wird. Es sei denn, mein Vater gelangt zu unerwartetem Reichtum.«
»Du solltest die Hoffnung nicht aufgeben. Vielleicht erscheint eines Tages ein junger Mann vor den Pforten des Klosters und nimmt dich mit.«
Anna winkte ab. »Das sind nur Geschichten, wie sie Sänger und Komödianten zum Besten geben. Aber vielleicht werde ich eines Tages Äbtissin. Dann regiere ich dieses Kloster und werde reicher, als es meine Schwestern je sein können.«
Und freier, fügte Bella in Gedanken hinzu. Christus mochte ein strenger Gemahl sein, doch er war keiner, der den Leib des Weibes plagte oder ihr die Haustür vor
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