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Die rechte Hand Gottes

Die rechte Hand Gottes

Titel: Die rechte Hand Gottes Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michel Folco
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nur die Henker zuzubereiten wußten, abzuholen. Sie bestand angeblich aus einem bestimmten, geheimen Anteil von Menschenfett, das den Körpern der Hingerichteten entnommen wurde. Je schlimmer das Verbrechen war, desto wirksamer war die Salbe. So gab es Salben von Vatermördern, Muttermördern und Kindsmördern, eine Salbe von Fersenröstern (ideal gegen Verbrennungen) und eine andere von Sodomiten (besonders wirksam bei Hämorrhoiden).
     
    Denjenigen, die sich darüber wunderten, daß Hippolyte noch über die nötigen Rohstoffe verfügte, obwohl er sein Amt schon seit fast vierzig Jahre nicht mehr ausübte, antwortete er, daß der Vorrat nach zwei Jahrzehnten und zweihundertacht Hinrichtungen sozusagen unerschöpflich wäre. Ganz zu schweigen von dem Erbe, das seine Vorfahren zusammengetragen hatten. Waren nicht noch gut zweihundert Pfund geprüfter Hexensalbe übrig, die noch von dem Ersten und dem Zweiten stammten?
    Saturnin, der im Rahmen seiner praktischen Übungen bei der Herstellung geholfen hatte, wusste, daß sein Großvater Schafsfett benutzte, dem er je nach Laune verschiedene Pflanzen beifügte.
    Er küßte Hippolyte auf beide Wangen. Dieser strich sogleich seinen Schnurrbart und den schönen, W-förmigen Kinnbart glatt.
    »Kommt Léon nicht?«
    »Er hat gesagt, daß er auf dem Rückweg von der Mühle vorbeikäme.«
    Er überließ die Erwachsenen ihrem Gespräch, nahm eine der unzähligen Zeitschriften, die auf dem anderen Ende des Tischs lagen und setzte sich auf die Truhenbank unter dem Fenster, gegenüber dem Stammbaum und der Ahnengalerie. Vor kurzem hatte sein Großvater unter jedem der Gemälde die entsprechende gerahmte Ernennungsurkunde mit dem fürstlichen Siegel angebracht.
    Wie in der Dorfschule, wo die Lehrer sie zwangen, die gesamte Auflistung der Départements mit ihren Präfekturen und Unterpräfekturen herzusagen, hatte Hippolyte ihn den Familienstammbaum auswendig lernen lassen. (» Sterben ist nicht schlimm, Saturnin, aber in Vergessenheit geraten ist furchtbar.«) An erster Stelle stand natürlich Justinien der Erste mit Griffu, seinem grauen Wolf, dem frühen Vorfahren des heutigen Griffu, der eine Mischung aus Wolf und Wachhund war.
    Geboren 1663, mit zwanzig Jahren, 1683, ernannt, 1692 mit neunundzwanzig Jahren Eheschließung mit Guilleaumette Pradel. Trat 1736, mit dreiundsiebzig Jahren zugunsten seines ältesten Sohnes Justinien in den Ruhestand. 1755 im Alter von zweiundneunzig Jahren in seinem Bett verstorben, wiederholte der Junge ganz mechanisch. Justinien und der Rächer waren ihm mit Abstand die liebsten. Ersterer wegen seines abenteuerlichen, faszinierenden Lebens, letzterer wegen seines außerordentlichen Erfindungsreichtums.
     
    Justinien III., genannt der Rächer des Volkes, wurde 1732 im Herrenhaus geboren. Mit fünfzehn Jahren wurde er der Gehilfe seines Vaters, mit einunddreißig Jahren oberster Henker. Der Rächer heiratete acht Jahre später Pauline Plagnes, die Tochter des Basile Plagnes, seines ersten Henkersknechts. Mit einundsiebzig Jahren begab er sich zugunsten seines Sohnes Justinien IV in den Ruhestand. Er starb vor Schreck, als an einem Winterabend, während sie um den Ofen herum saßen und Geschichten erzählten, eine Kastanie in der Pfanne explodierte, die Pauline vergessen hatte anzustechen.
    Saturnin las, doch als er hörte, daß in dem Gespräch zwischen seinem Großvater und Calzins wiederholt der Name seines Onkels Léon fiel, horchte er auf.
    » Ich weiß genau, wenn es nach meinem abtrünnigen Sohn und seiner Megäre ginge, stünde von unserem Haus nichts mehr, Monsieur Calzins. Gar nichts mehr! Das hat er mir selbst gesagt. Seither bin ich wachsam, das müssen Sie verstehen, und ich verdanke den Beiden schlaflose Nächte und furchtbare Migränen.«
    Hippolyte trank einen Schluck Wasser, ehe er in spöttischem Ton fortfuhr:
    »Wissen Sie, wieviel dieser Idiot dafür ausgegeben hat, sich Trouvé nennen zu können? Mehr als fünftausend
    Francs in Gold! Als würde es ausreichen, sein Ladenschild zu ändern, damit die Leute ihre Vorurteile vergessen. Es fällt mir schwer zu glauben, daß er so naiv geworden ist. Ich lege all meine Richtblöcke dafür ins Feuer, daß es Hortense war, die ihn beeinflußt hat.«
    Er knabberte ein Radieschen und brummte:
    » Das hat meine Mutter immer gesagt: Wenn einer von uns einen anderen Stand annimmt, wird er uns früher oder später verachten.«
    Der alte Notar nickte mit gespielter Anteilnahme. Selbst Saturnin

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