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Die rechte Hand Gottes

Die rechte Hand Gottes

Titel: Die rechte Hand Gottes Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michel Folco
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erriet, daß er es eilig hatte, aufzubrechen. Erst seit er im Ruhestand war, wagte er es, selbst hierher zu kommen und seine Salbe abzuholen. Vorher hatte er immer einen Diener geschickt.
    »Also, dann bis zum nächsten Mal, Monsieur Pibrac, was meine kleine Bestellung angeht, rechne ich ganz auf Sie. Ich brauche sie noch vor Pfingsten, und ich ... «
    »Einen Augenblick, Monsieur Calzins«, unterbrach ihn Hippolyte und hob seine Hand, an der drei Fingerglieder fehlten. »Ehe Sie gehen, möchte ich Ihnen noch mitteilen, daß ich den abschlägigen Bescheid des Gemeinderates hinsichtlich meines Antrags auf Denkmalschutz für das Herrenhaus nicht annehme. Ich werde ihn also noch einmal vorlegen und eine neue Abstimmung verlangen. Ihr Sohn ist gegen mein Vorhaben. Ich rechne darauf, daß Sie als Vater ihn zur Vernunft bringen werden, damit er seine Meinung ändert ... Haben nicht schließlich schon unsere Vorfahren in der Vergangenheit eng zusammengearbeitet?«
     
    Der Notar horchte auf. In seiner Stimme klang wieder die alte Überheblichkeit, als er jetzt den Henker auf seinen Platz verwies:
    »Sie reden Unsinn, Pibrac! Ich weiß, daß es Ihnen schon immer Freude gemacht hat, solche Art übler Nachrede zu verbreiten ... Dabei entspricht das absolut nicht den Tatsachen, und das wissen Sie ganz genau. Meine Familie hat nie - weder im engeren noch im weiteren Sinn -, mit einer Hinrichtung zu tun gehabt.«
     
    Das war, als habe man eine Kobra gereizt. Ohne Calzins aus den Augen zu lassen, sagte Hippolyte:
    » Saturnin, erinnerst du dich daran, wer die Richtbühne für den Ersten gebaut hat?«
    »Das war der Zimmermann Francois Calzins, der Vorsitzende der Vereinigung der Zimmerleute und Schreiner... Es war im... im ... August 1683, am 28. oder 29 .... «
    »Am 29.«, unterbrach ihn Hippolyte. »Jetzt gib uns die Fundstelle an! «
    Das war schon schwieriger. Sie kam in den allerersten Lektionen vor, und es lag schon eine Weile zurück, daß Saturnin sie wiederholt hatte.
    »Die Rechnung für die Richtbühne liegt in den Gemeindearchiven, zweiter Teil, Reihe 326A45.«
    Calzins Gesicht lief rot an. Wie jedesmal schwor er sich, keinen Fuß mehr an diesen schändlichen Ort zu setzen. Doch dann dachte er an seine Salbe aus dem Fett eines Gehängten und der Alraunenwurzel und sagte in versöhnlichem Ton:
    » Ich werde sehen, was ich bei meinem Sohn ausrichten kann. Aber ich kann Ihnen nichts versprechen, er ist ein sehr eigenwilliger Geist, der ... «
    » Ich hingegen verspreche Ihnen, daß meine Salbenvorräte für einige Leute für immer versiegen werden, wenn mein Haus nicht geschützt wird. Stets zu Ihren Diensten, Monsieur, ich begleite Sie nicht hinaus, Sie kennen ja den Weg.«
    » Hast du gesehen, er hat es mit der Angst zu tun bekommen«, sagte er zu seinem Enkel, sobald der Notar das Zimmer verlassen hatte.
    » Ich würde zu gerne Mäuschen spielen, um zu hören, was er erfinden wird, um seinen Sohn davon zu überzeugen, daß er für unseren Antrag stimmt. Ohne die Salbe und die Alraunen kann er seinem Mädchen aus dem Ségala Adieu sagen.«
    Sie hörten, wie die Räder über das Pflaster rumpelten.
    »Wo ist Griffu?« fragte Saturnin.
    »Mit Casimir auf der Jagd.«
    Er griff noch einmal zu den frischen Radieschen.
    »Komm, nimm dir welche, es sind die ersten, sie sind sehr gut«, sagte er, während er seinem Enkel den Teller hinschob, »iß und erzähl mir, was es in der Stadt Neues gibt.«
    Mit »in der Stadt« war »bei Léon« gemeint. Saturnin trank einen Schluck aus dem Glas seines Großvaters, bevor er antwortete:
    »Tante Hortense will einen Tilbury kaufen, so einen, wie ihn die Cressayets haben, aber Onkel Léon ist dagegen.«
    »Er wird nachgeben. Er gibt am Ende immer nach. Und Parfait?«
    Parfait war genauso alt wie Saturnin. Sie besuchten dieselbe Klasse, und auch er bereitete sich jetzt auf die gefürchtete Abschlußprüfung vor.
    »Wie immer. Er würde lieber in der Backstube arbeiten, aber Tante Hortense will, daß er Anwalt wird.«
    »Anwalt? Das ist ja ganz neu. Wollte sie nicht, daß er Arzt wird?«
    »Seit sie ihren Prozeß gewonnen haben, hat sie es sich anders überlegt.«
    Hippolyte knurrte bei der Erinnerung an diesen schmerzlichen Augenblick, da das Geheimnis der Pibracs in aller Öffentlichkeit enthüllt worden war. Seither wußte jedermann, daß der Vorfahr und Begründer nichts anderes als ein ganz gewöhnlicher Dieb gewesen war.
    Die Uhr auf dem Kamin schlug halb zehn.
    »Genug geschwatzt,

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