Die rechte Hand Gottes
wir wollen sehen, ob du deine Lektion gelernt hast.«
Während er das sagte, ordnete er die Stapel von Zeitungen und Zeitschriften, die auf dem Tisch lagen. Da er in einer beinahe vollkommenen Abgeschiedenheit lebte, hielt er den Kontakt zur Außenwelt, indem er alle möglichen Zeitschriften und Zeitungen über Politik, Literatur, Wissenschaft, Sport, Humor und Satire abonniert hatte. Er bekam sogar zwei Modezeitschriften für Damen, bei deren Studium er immer zu kichern anfing.
Saturnin holte aus der Schublade des Buffets Heft, Feder und Löschblatt und setzte sich an den Tisch. Er hoffte nur, daß die Befragung nicht das Recht der direkten Abgabe unter Justinien II., einschließen würde, denn das konnte er nicht besonders gut.
»Wenn man zehn Kilo mehr an die Ramme hängt, wie lange braucht dann das Fallbeil, bis es unten ankommt?«
Der Junge entspannte sich, das war einfach.
»So lange wie ein halbes Augenzwinkern.«
»Hmmm«, sagte sein Großvater, während er über seinen Bart strich, »Das ist einfach. Aber jetzt zähl mir die hauptsächlichen Rechte der direkten Abgabe unter Justinien Il. auf.«
»Eehhmm ... die direkte Abgabe wurde, wie auch unter Justinien I., wöchentlich vorgenommen: montags, ehmmm ... donnerstags, nein mittwochs und sonnabends.«
Hippolyte runzelte die Stirn.
»Bist du sicher?«
Saturnin verzog unentschlossen das Gesicht.
»Wenn man nicht sicher ist, bedeutet das, daß man es nicht weiß. Wenn man etwas nicht weiß, muß man es wiederholen.«
Der Schüler öffnete sein Heft, schraubte sein Tintenfaß auf und tauchte die Feder hinein.
»Der Begriff >direkte Abgabe< ist ein sehr altes Recht. Die direkte Abgabe wurde mit der Hand entnommen.«
Hippolyte machte eine Bewegung, so als würde er die geöffnete Hand in einen Sack tauchen und sie gefüllt wieder herausziehen.
»Dieses Recht hat den Reichtum der Pibracs begründet, nicht das Scharfrichteramt.«
Während Hippolyte seinen Wirtschaftskurs fortsetzte, betonte er die Gerechtigkeit dieser Steuer, die die Armen aussparte und nur die Handwerker und Kaufleute betraf, für die ja auch die Gesetze gemacht waren. Auf dem Hof hörte man das Getrappel von Pferdehufen. Kurz darauf betrat Casimir das Zimmer, gefolgt von Griffu, der sich auf den Jungen stürzte, um sein Gesicht liebevoll mit seiner Zunge von der Größe eines Waschlappens abzuschlecken.
Der Knecht legte sein Jagdgewehr auf einen Stuhl und nahm die Jagdtasche von der Schulter, aus der der Kopf eines jungen Hundes ragte, der zu jaulen begann und sich zappelnd zu befreien versuchte.
»Ist der lustig! Es sieht aus, als hätte er ein blaues Auge«, sagte Saturnin, indem er auf den schwarzen Kreis deutete, der das rechte Auge umschloß.
»Streichle ihn ruhig, du kannst ihn auch herausnehmen. Er gehört dir! Herzlichen Glückwunsch zum Geburtstag, Saturnin!«
Die Freude belebte das Gesicht des Jungen, das sonst nur allzuoft ausdruckslos blieb.
Den Karren schwer mit Mehlsäcken beladen, gelangte Léon in Sichtweite des Herrenhauses. Lustlos öffnete er das Tor, er fürchtete schon jetzt die drückende Stimmung, die sich bei jedem seiner seltenen Besuche ausbreitete. Selbst Griffu schien ihm vorwurfsvolle Blicke zuzuwerfen. Ja, das beste wäre wirklich, wenn all das verschwinden und man nicht mehr davon reden würde! Was die Gebeine der Vorfahren in der Krypta anging, so war der Abt einverstanden, sie auf den Friedhof von Saint-Laurent zu verlegen. Doch von den Grabfiguren wollte er nichts hören, und er verlangte auch, daß die Särge in namenlosen Gräbern untergebracht wurden. Auch bei dem Vorfahren und Begründer und Guillaumette zeigte sich der Abt unnachgiebig, man würde die Ketten, die die beiden verbanden, lösen müssen. Dieser Punkt betrübte Léon, denn sosehr er auch allem abgeschworen hatte, er war doch nach der Tradition erzogen worden. Und die Erzählung von der vollkommenen Liebe zwischen Justinien mit der Holznase und Guillaumette hatte ihm mehr als einmal Tränen in die Augen getrieben. Sie zu trennen, kam für ihn einer Schändung gleich.
Léon nahm den Hut ab, ehe er in das große Zimmer trat, in das das Sonnenlicht durch drei große Fenster fiel. Er begrüßte seinen Vater mit einem kurzen Kopfnicken, das dieser erwiderte. Casimir wandte ihm lieber den Rücken zu.
Sein Neffe saß auf dem Boden und spielte mit einem kleinen schwarz-weißen Hundewelpen, das von Griffu mit Wohlwollen beschnuppert wurde.
»Welche schlechte Neuigkeit führt
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