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Die rechte Hand Gottes

Die rechte Hand Gottes

Titel: Die rechte Hand Gottes Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michel Folco
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jeden Abend vor dem Schlafengehen, vor das große Bett, das sie teilten und sagten in aller Geschwindigkeit ihr Gebet auf.
    »Lieber Gott, mach, daß Saturnin es sich anders überlegt und weiter mit mir zur Schule geht«, fügte Parfait hinzu, der immer gewissenhaft von seinem Cousin abgeschrieben hatte.
    »Wie willst du ihn nennen?« fragte er später.
    »Brise-Tout - Allesfresser.«
    »Das paßt gut zu ihm«, stimmte Parfait zu, während er beobachtete, wie der Hund den Deckel seiner Rechenfibel anknabberte.
     
     
    5
     
    Am nächsten Tag, Sonntag, den 14. Mai 1906,
    Rue du Dragon, 4 Uhr morgens
     
     
    »Aufwachen, es ist Zeit!«
    Der Hund bellte unter dem Bett. Saturnin öffnete verschlafen die Augen und sah vor seinem Bett Benoit, den zweiten Lehrling, mit einer Kerze in der Hand.
    »Laß mich, ich bin noch müde.«
    » Steh auf, macarel, der Meister mag es nicht, wenn wir zu spät kommen. Und sag deinem Kläffer, er soll aufhören, sonst weckt er Madame Hortense und dann ... «
    Saturnin erinnerte sich an die Vereinbarung, die er mit seiner Tante getroffen hatte. Er warf die Decken zurück und ließ sich aus dem Bett gleiten. Er streichelte Brise-Tout über den Kopf, der mit dem Schwanz wedelte. Als er fertig war, nahm er den Hund auf den Arm.
    »Nimmst du ihn mit?« wunderte sich der Lehrling.
    »Natürlich. Wenn ich ihn alleine lasse, wird er ohne Unterlaß bellen.«
     
    In der Backstube knetete Léon, bis zu den Hemdsärmeln voller Mehl, heftig seinen Brotteig. Er liebte seinen Beruf, und das merkte man jeder seiner Bewegungen an. Er begrüßte seinen Neffen freundlich und gab ihm eine blaue Schürze.
    Als Saturnin seinen Hund suchte, um zu kontrollieren, daß er keinen Unfug machte, überraschte er ihn dabei, wie er unter den Wahlspruch pinkelte, den Arsène Bouzouc vor langer Zeit an die Wand gemalt hatte:
    Der, dem nichts gelingt, redet dauernd davon. Der, dem alles gelingt, redet nie. Hast du deinen Tag genutzt? Das frage dich jeden Abend.
     
    Sein Onkel seufzte.
    »Wisch das auf und dann fang an zu arbeiten. Zuerst wirst du die Asche aus dem Backofen holen. Benoit wird dir zeigen, wo du sie hinschütten kannst.«
    Der Morgen graute, als die Witwe Bouzouc, wie jeden Tag, mit ihrem Nachttopf in der Hand in der Backstube erschien. Sie versetzte dem Hund, der ihre Waden anpeilte und bellte, einen Fußtritt und leerte ihren Topf im Hof. Dann begab sie sich in das Hinterzimmer, aus dem bald der Duft von frischem Kaffee strömte, der sich mit dem des warmen Brots mischte. Kurz darauf hörte man Hortenses unregelmäßigen Schritt auf der Treppe, gefolgt von Margot und Béatrice. Parfait erschien als letzter. Voller Neid sah er auf seinen Cousin, der die angebackenen Hörnchenreste von den fettigen Blechen kratzte. Als Saturnin seinem Onkel in das Hinterzimmer folgte, sah er, daß sein Hocker und seine Tasse verschwunden waren.
    »Die Bäckerjungen essen nicht mit dem Meister«, erklärte Hortense und deutete auf die Backstube und den kleinen Tisch, an dem Raymond und Benoit saßen. »Und nimm deinen Hund mit, ich will ihn hier nicht sehen und schon gar nicht im Laden. Wehe ihm, wenn er dir nicht gehorcht! «
    Saturnin sah seinen Onkel an, der sein gebuttertes Brot in den Kaffee tunkte.
    Wenig später, als Saturnin den Hof fegte, machte sich Parfait in Sonntagskleidern, das Meßbuch unter dem Arm, auf den Weg zum Katechismus. Sein Gang war steif, da ihm strengstens verboten war, sich schmutzig zu machen. Und während sich Hortense, ihre Mutter und ihre Töchter untergehakt, auf den Weg zur Kirche Saint-Laurent begaben - es gehörte zum guten Ton, sich dort in der Zehn-Uhr-Messe zu zeigen -, reinigte er den Backtrog mit einer Spachtel. Um 11 Uhr band Léon seine Schürze ab und ging hinauf in den ersten Stock, um sich für die sonntägliche Versammlung der Gesellschaft der »Freunde der guten alten Zeit« umzuziehen, die im Hinterraum des »Au Bien Nourri«, dem Stammlokal der Konservativen, stattfand. Dort standen die verschiedensten Themen auf der Tagesordnung und wurden heftig diskutiert. Léon war seit fünf Jahren in dieser Gesellschaft eingeschrieben, doch man billigte ihm nur den Status eines Zuhörers zu. Man fragte ihn nicht nach seiner Meinung, und er sollte sie auch nicht kundtun.
    Da das Geschäft am Sonntagnachmittag geschlossen war, begab sich Saturnin mit Brise-Tout an die Ufer des Dourdou, wo sie den Nachmittag zusammen verbrachten, um sich besser kennenzulernen. (» Du hast vier

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