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Die rechte Hand Gottes

Die rechte Hand Gottes

Titel: Die rechte Hand Gottes Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michel Folco
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gemacht hatte. Sogar das Dach war neu gedeckt worden. Verdankten es nicht seine Frau und seine Töchter der gutgehenden Konditorei, daß sie es sich erlauben konnten, im » Chic Parisien « in Rodez zu kaufen? Und Hüte für dreißig Francs zu tragen, um sonntags vor der Kirche Eindruck zu machen?
    Doch da er spürte, daß sich sein Zorn langsam verflüchtigte, ließ er sie stehen und verschwand schimpfend in der Backstube.
    Beim Mittagessen, gleich nach dem Gebet, ging Hortense zum Gegenangriff über:
     
    » Sag mir eins, Saturnin, wer soll sich denn um den Hund kümmern, während du in der Schule bist? Du kannst dir ja vorstellen, daß wir etwas anders zu tun haben, als ihn daran zu hindern, Princesse zu verfolgen, oder sein Pipi hinter ihm aufzuwischen.«
    Der, um den es ging, war an einem Strick angebunden und gerade damit beschäftigt, sich die Zähne am Fuß von Saturnins Hocker zu wetzen.
    »Casimir hat gesagt, daß es ein Foxterrrier ist und daß er ein guter Rattenjäger werden wird. Wenn er größer ist, können wir ihn vielleicht auf dem Speicher lassen, damit er das jagen lernt.«
     
    Doch seine Tante war anderer Meinung:
    »Die Ratten und die Mäuse, das ist Princesses Aufgabe ... Eigentlich sehe ich, je mehr ich über die Sache nachdenke, nur eine Lösung. Da es dein Hund ist, mußt du dich um ihn kümmern. Du mußt also hierbleiben.«
    »Das würde ich ja gerne tun, Tante, aber ich muß zur Schule.«
    »Nun, dann gehst du eben nicht mehr hin. Schließlich kannst du lesen, schreiben und bis zehn zählen, das reicht aus. Zu mehr wirst du es im Leben sowieso nicht bringen ... Du kannst ebensogut hier bei deinem Hund bleiben, dann kannst du auch gleich deinem Onkel in der Backstube helfen. Das trifft sich gut, denn Ostern kommt näher, und dieser undankbare Raymond wird gehen.«
    Sie warf einen giftigen Blick zur geöffneten Tür der Backstube, wo die Gesellen und die Magd ihr Mittagsbrot aßen.
     
    Nach einer dreijährigen Lehre hatte Raymond ihnen seine Absicht mitgeteilt, zu heiraten und sich bei seinem Schwiegervater, einem Bäcker in Rodez, niederzulassen.
    »Dann will ich auch einen Hund! Ich will auch mit Papa in der Backstube arbeiten! « rief Parfait empört.
    » Du tust, was man dir sagt! «
    Margot und Béatrice kicherten hinter ihren Servietten.
    »Ich kann jetzt nicht mit der Schule aufhören. In einem Monat ist die Abschlußprüfung, und ich bin sicher, daß ich sie bestehen werde.«
    Er suchte den Blick seines Onkels, doch dieser wich ihm aus.
    » Genug der Rederei«, erklärte Hortense. »Du mußt dich entscheiden: Entweder verläßt du die Schule und bleibst bei deinem Hund, oder du gibst ihn ab. Von uns kann sich niemand um ihn kümmern. Verstehst du das wenigstens?«
    »Ich könnte schon«, schlug Parfait plötzlich vor.
    Diesmal bekam er eine Ohrfeige.
    » Halt den Mund und iß! «
    Saturnin betrachtete das Hundebaby. Da ihm offensichtlich das Holz des Hockers zu großen Widerstand leistete, hatte er sich daran gemacht, hingebungsvoll an seinem Strick herumzukauen. Er beugte sich hinab, um ihn zu streicheln. Noch nie zuvor hatte er ein lebendiges Wesen besessen.
    »Saturnin, hast du gehört, was ich gesagt habe?«
    »Ja, ich habe es gehört, Tante... Aber es ist dumm, wenn ich nicht die Abschlußprüfung mache. Großvater sagt, es ist wichtig, sie zu haben.«
    »Was weiß dein Großvater schon davon? Er verläßt ja nie sein Haus. Und hat er überhaupt seine Abschlußprüfung?«
    Princesse kam ins Zimmer. Der Hund sprang auf, der Strick riß durch, und erneut begann ein lautstarker Radau im Hinterzimmer, der sich im Laden fortsetzte.
    »Boudiou! Mein Gott! « wimmerte die alte Bouzouc und streckte die Hände zum Himmel.
    Trotz der kühlen Abendluft stützte sich Léon auf das Fenstergitter, rauchte eine letzte Zigarette und sah zu, wie die Straßenlaternen erloschen und die Rue du Dragon langsam in die Dunkelheit versank. Am anderen Ende des Zimmers, hinter einem großen Wandschirm mit chinesischen Motiven, zog Hortense ihr Nachthemd an. Es war dasselbe, das sie achtzehn Jahre zuvor in ihrer Hochzeitsnacht getragen hatte. Damals war es ganz neu gewesen, und das rauhe Leinen hatte ihn fast ebenso überrascht wie der schmale Schlitz, der in der richtigen Höhe eingearbeitet war und um den man mit rotem Kreuzstich die Worte Gott will es gestickt hatte. Léon hatte sie nie ohne dieses Nachthemd gesehen. Auf der anderen Seite der dünnen Trennwand knieten sich Parfait und Saturin, wie

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