Die rechte Hand Gottes
nicht, den Verstand der Postulanten zu entwickeln, sondern ihn zu disziplinieren. Deshalb hatte er auf die Wand hinter sich Fide et obsequio malen lassen - Treue und Gehorsam -, denn diese Worte drückten am besten aus, was er von jedem erwartete.
»Edler Präfekt, das ist der Postulant Justinien Trouvé, der aus Roumégoux zu uns kommt. Ich bitte Euch, ihn mit unseren Vorschriften vertraut zu machen «, sagte Rektor Gédéon. »Er kennt bereits die Regel Nummer eins«, fügte er hinzu und überließ ihm Justinien, der sich die Backe rieb, als wolle er die brennende Stelle wegwischen.
Der Sittenpräfekt liebte es, die Postulanten mit Äpfeln zu vergleichen und die Sünde mit einem Wurm, der in der Lage ist, den ganzen Korb voller Äpfel faulig werden zu lassen. Seine Aufgabe war es, die Würmer aufzuspüren und auszumerzen. Als er die Nase aus Holz erblickte, verhärteten sich seine Gesichtszüge.
»Werft mir das her! Los, sofort! Hier werden die Manieriertheiten eines Gecken nicht geduldet.«
Justinien fuhr zusammen. Seine Nase hergeben? Es mußte sich um ein Mißverständnis handeln. Was sollte dieser Empfang? Warum war man so versessen darauf, ihn derart zu demütigen? Sein Patenonkel hatte solche Schikanen nie erwähnt.
»Mit Verlaub, edler Präfekt, das ist meine Nase, und mir liegt daran, sie zu behalten. Ich habe ein Recht darauf.«
So, das war heraus.
Eine zweite Ohrfeige, auf dieselbe Wange und wesentlich kräftiger als die vorherige, brachte ihm Regel Nummer eins wieder in Erinnerung.
»Postulant Trouvé, Ihr müßt wissen, daß von nun an Euer einziges Recht darin besteht, zu gehorchen. Legt diesen lächerlichen Schnickschnack ab und gebt ihn mir! «
Der junge Mann gehorchte; er biß die Zähne zusammen, um nicht loszuweinen. Der Präfekt kam auf ihn zu, blinzelte und sah ein häßliches Loch. Er verbarg seine Überraschung hinter einem trockenen Lachen, dann entschuldigte er sich bei Justinien und gab ihm die Nase zurück.'
» Ich bitte Euch, meinen Irrtum zu entschuldigen, aber ich dachte, es handele sich um einen modischen Firlefanz. Ehm ... da nehmt, ehm, Ihr könnt Euch wieder anziehen, wenn ich so sagen darf.«
Justinien band sich die Nase wieder um, wobei er Schwierigkeiten hatte, einen Knoten zu machen, weil ihm die Finger so zitterten. Dann inspizierte der Präfekt den Inhalt seines Beutels. Als er die Odyssee entdeckte, zerriß er das Buch trotz seines Ledereinbandes in zwei Teile und warf die Stücke auf den Boden. Dieses Mal weinte Justinien: zusammen mit seiner Nase und seinem Messer war dieses Buch das Kostbarste, was er besaß. Martin hatte es ihm geschenkt.
»Schürzt Eure Kutte«, verlangte der Präfekt, der sich Gewißheit verschaffen wollte, daß Justinien auch nichts darunter verbarg.
Als er das Messer erblickte, das in den Beinkleidern steckte, entfuhr ihm ein nervöser Seufzer.
»Gebt es her«, sagte er und streckte die Hand aus.
Justinien reichte ihm Pibracs Messer. Als nächstes war der Taler an der Reihe, der drei Livres wert war. Räuber in einem Wald hätten ihn nicht besser ausnehmen können.
»Wann werde ich ... «
Eine dritte Ohrfeige entlockte ihm diesmal einen Wutschrei, der den Präfekten einen Schritt zurückweichen ließ. Also wirklich, dieser Neue gefiel ihm nicht.
Der Prior, zu dem ihn der Präfekt geleitete, war kugelrund und sah gutmütig aus. Seine Tonsur war so groß wie ein Suppenteller und ließ nur noch einen schmalen Kranz grauer Haare übrig. Da er bereits über Justiniens Nase Bescheid wußte, stellte er diesbezüglich keine Fragen, sondern beschränkte sich darauf, seine Lateinkenntnisse zu prüfen.
»Sagt die Zehn Gebote auf. Antwortet.«
Justinien kam dem Befehl mit niedergeschlagen klingender Stimme nach.
»Das ist gar nicht schlecht. Nun zeigt mir, wie Ihr schreibt.«
Der Junge gehorchte und schrieb flüssig: » Ich bitte um die Erlaubnis sprechen zu dürfen.«
Der Prior sah ihn kurz prüfend an, bevor er antwortete:
» Ich höre.«
»Ich möchte wissen, ob der edle Sittenpräfekt das Recht hat, mein Buch zu zerreißen und sich meines Messers und meines Geldes zu bemächtigen.«
»Welches Buch war das? Antwortet.«
»Die Odyssee von Homer.«
»Weltliche Bücher sind nicht gestattet, genauso wie jeglicher persönliche Besitz. Warum solltet ihr diese Dinge behalten, wo Ihr sie doch nicht mehr braucht? Folgt mir nun, ich werde Euch zu Pater Vaillant bringen, Eurem Regens. Und hört auf zu weinen wie ein kleines
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