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Die rechte Hand Gottes

Die rechte Hand Gottes

Titel: Die rechte Hand Gottes Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michel Folco
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Kind.«
    Justinien wischte sich die Tränen mit geballten Fäusten fort. Der Prior bemerkte, wie Justiniens Knöchel ganz weiß wurden, weil er die Finger so stark zusammenpreßte. Genau wie der Präfekt kam er zu dem Schluß, daß ihm der Neuzugang gar nicht gefiel.
    Nachdem sie wieder ins Erdgeschoß hinabgestiegen waren, folgten sie dem langen Wandelgang und kamen dabei auch an der verschlossenen Pforte vorbei. Justinien mußte wieder an den Ablaßerbitter denken. Sie betraten ein geräumiges Klassenzimmer mit einer niedrigen Decke, in dem ungefähr vierzig Postulanten saßen, die sich von ihren Plätzen erhoben. Alle Blicke waren auf Justiniens Nase gerichtet.
    »Hier ist ein Neuer, edler Regens. Heute nacht wird er in der neunten Dekurie schlafen.«
    Mißbilligendes Gemurmel war aus der Ecke zu hören, in der die betreffende Dekurie saß.
    » Ruhe! « befahl der Regens und griff nach seinem gedrehten Ochsenziemer, dem Zeichen seiner Autorität.
    Der Prior ging hinaus. Die Klasse setzte sich wieder.
    »Schreibt Euren Namen an die Tafel, damit wir Euch kennenlernen, und dann setzt Euch neben Dekurio Ravignac«, sagte er und deutete dabei auf einen Postulanten, der allein hinter einem Schreibpult in der ersten Reihe saß.
    Justinien nahm die Kreide, die man ihm reichte, und schrieb, so schön er konnte, JUSTINIEN TROUVÉ, was bei allen schallendes Gelächter auslöste. Trotz Regel Nummer eins stimmten einige ein Spottlied an und machten sich über seine unbekannte Herkunft lustig.
    Mit gesenktem Blick und feuerroten Wangen setzte sich Justinien neben einen blonden jungen Mann von ungefähr zwanzig Jahren, der eine schöne, graue Soutane trug, auf die ein rotes Kreuz genäht war, das Zeichen des Dekurios. Er war schmächtig, hatte ein pickelfreies Gesicht und wirkte zugleich bescheiden und prahlerisch. Der junge Mann zog aus seinem Pult ein Register hervor, in das er den Namen des Neuen eintrug.
    »Weißt du denn wenigstens dein Geburtsdatum?«
    »Natürlich. 10. Juni 1663.«
    »Das sagt sich so. Wie kannst du dir da sicher sein, du bist doch nur ein Findelkind? Weißt du denn, wie alt du warst, als man dich ausgesetzt hat?«
    Hinter ihrem Rücken fingen die anderen zu prusten an. Justinien bemerkte, wie seine Nachbarn zur Rechten ihm Grimassen schnitten und dabei an ihren Nasen herumspielten.
    »Und nun« fuhr der Dekurio fort, »nenne mir deinen Geburtsort.«
    Als er nicht antwortete, meinte Ravignac entgegenkommend:
    »Wenn du ihn nicht weißt, genügt es mir auch, wenn du mir deinen Fundort nennst.«
    Justinien schwieg weiterhin hartnäckig. Mit gesenktem Kopf und steifem Nacken starrte er, ohne sie wahrzunehmen, auf seine geballten Fäuste. Diese merkwürdige Verhärtung, die er in seiner Brust spürte, hatte sich nach der ersten
    Ohrfeige immer weiter ausgebreitet, seine Verzweiflung in einen unbändigen Zorn verwandelt und Gedanken von einer bis dahin nicht gekannten Gewalttätigkeit in ihm ausgelöst.
    Der Dekurio meldete sich. Pater Vaillant gestattete ihm zu sprechen.
    »Der Postulant Trouvé verweigert die Antwort, edler Regens.«
    Der Regens packte seinen Ochsenziemer.
    »Postulant Trouvé, kommt hierher!« sagte er und wies dabei auf das Podium.
    Justinien rührte sich nicht. Sein gesamter Plexus und noch mehr waren mittlerweile derart zusammengeschnürt, daß ihm richtig schlecht war. Aufgeregtes Gemurmel machte sich im Zimmer breit. Diejenigen, die hinten saßen, erhoben sich von ihren Plätzen, um besser sehen zu können.
    »Los, vorwärts, gehorch schon; wenn nicht, wirst du nur noch mehr Scherereien bekommen«, drohte ihm Ravignac und verpaßte ihm einen Stoß, um ihn aus der Bank zu schubsen. Da packte Justinien ihn beim Schopf und zog mit aller Macht, bis er ihm zwei Büschel Haare ausgerissen hatte. Der Dekurio stieß einen Schmerzenssehrei aus, der auf Justinien äußerst befreiend wirkte. Um sich noch mehr Erleichterung zu verschaffen, versetzte er ihm unbeholfen einen Fausthieb, wobei er, natürlich, die Nase anvisierte. Die Klasse brüllte vor Vergnügen, und der Regens stürzte herbei.
    Die beiden jungen Männer wälzten sich am Boden. Völlig unempfindlich gegen die Schläge, die Pater Vaillant mit dem Ochsenziemer austeilte, hatte sich Justinien wieder in Ravignacs Haaren festgekrallt. Mehrere Dekurionen waren nötig, um Ravignac zu befreien und seinen Angreifer zu überwältigen. jemand eilte davon, um den Rektor zu verständigen. Das jammernde Opfer wurde auf die Krankenstation

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