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Die rechte Hand Gottes

Die rechte Hand Gottes

Titel: Die rechte Hand Gottes Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michel Folco
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befindet sich eine Meile von Racleterre entfernt. Kennst du unseren Orden?«
    »Wer hat nicht schon von ihm gehört? Und eher Schlechtes, will ich dir sagen. Man erzählt sich, es sei schlimmer, als Soldat zu werden ... Man sagt auch, daß die, die dort eintreten, den Orden niemals wieder verlassen.«
    »Das ist verständlich, denn wir sind ein kontemplativer Orden, der der immerwährenden Anbetung des heiligen Präputiums geweiht ist.«
    »Man sagt, daß sich das echte in San Giovanni in Laterano, in Rom befindet.«
    »Das echte was?«
    »Das echte Präputium. Mehrere Ablaßerbitter haben es dort gesehen, und der Papst hat seine Echtheit bestätigt. Deshalb kommen kaum noch Pilger nach Roumégoux.«
    Dem Jungen war plötzlich angst und bange. Und wenn dieser Mann hier nun einer dieser Dämonen war, die ihn in Versuchung führen wollten und um die sein Patenonkel, Abbé Melchior, ein solches Aufhebens gemacht hatte?
    »Besser, du wirst gar nicht erst Mönch, sondern machst dich gleich auf den Weg nach Marseille. Du mußt dich nur für einen Pilger ausgeben, dem man den Paß gestohlen hat. Du wirst jederzeit einen Kapitän finden, der dich mitnimmt.«
    Die von den Pfarrern der Gemeinden ausgestellten Pässe berechtigten die Pilger unter anderem zu betteln und in einem Hospiz beherbergt zu werden. Und sie dienten darüber hinaus der Obrigkeit dazu, die echten von den falschen Pilgern unterscheiden zu können.
     
    Als sie im Schatten einer großen Ulme Rast machten, nutzte Justinien die Gelegenheit, um unauffällig an seinem Weggefährten zu schnuppern, doch ihm haftete lediglich der ehrbare Geruch eines Mannes an, der jedesmal, wenn er einen Brunnen entdeckte, ein Bad nahm. Nichts schien ihm zu fehlen oder überzählig zu sein, aber wie konnte man dessen gewiß sein? Der aufschlußreiche Makel konnte sich unter der Kleidung verbergen. Justinien konnte zwar seine Finger zählen, nicht aber seine Zehen, die in Stiefeln steckten. Er erkannte die Grenzen einer theoretischen Unterweisung, wenn sie mit der Praxis in Berührung kam.
    Als sich ihre Wege trennten, stellte ihm der Ablaßerbitter zum Abschied noch eine Frage:
    »Weißt du eigentlich, wozu die Tonsur, die sie dir gemacht haben, wirklich dient?«
    »Natürlich. Als Zeichen, daß ein Laie in den Stand der Kleriker tritt. Da ich Novize bin, ist meine nur zwei Zoll breit, aber wenn ich Wächter sein werde, wird sie vier Zoll messen.«
    »Ich fragte dich, ob du weißt, wozu sie dient.«
    »Wie?«
    » Damit man eine glatte Fläche hat, wohin man sich während des Beischlafs küssen kann.«
     
    Nachdem er das gesagt hatte, ließ ihn der Ablaßerbitter einfach stehen und ging davon, ohne sich noch einmal umzudrehen.
    Im Jahr der schwarzen Pest, 1347, vom Bannerherrn Raimond Fendard, dem sechsten Großwächter des Ordens, gegründet, gehörte das Priesterseminar von Racleterre zum Mutterhaus in Roumégoux und hatte die Aufgabe, Wächter zur immerwährenden Anbetung heranzubilden. Zu diesem Zwecke bediente man sich seit drei Jahrhunderten einer Erziehung, die ihresgleichen suchte und von der sich auch Ignatius von Loyola, der ein Vierteljahr lang Gast im Orden gewesen war, hatte weitgehend leiten lassen, als er vor hundertfünzig Jahren seine Gesellschaft Jesu ins Leben gerufen hatte. Doch wenn es das Ziel der Gesellschaft war, seine Postulanten darauf vorzubereiten, der Welt zu trotzen, so war es das Ziel des Ordens, seine Mitglieder für eine immerwährende Gefangenschaft zu formen.
    Auf Lebenszeit vom Großwächter in sein Amt berufen, lenkte und verwaltete der Rektor durchschnittlich die Geschicke von an die hundert Postulanten, die in Dekurien aufgeteilt waren. Ihm zur Seite standen ein Sittenpräfekt, ein Prior und zwölf Regenten. Den letztgenannten wiederum gingen Gehilfen zur Hand, die sich aus den Postulanten rekrutierten. Diese Gehilfen hatten die Aufgabe, besonders großen Glaubenseifer zu zeigen, um so den der anderen anzuspornen. Sie mußten nötigenfalls auch bespitzeln und denunzieren. Man nannte sie Dekurionen, und ihre Devise war: »Wo du auch bist, ich sehe dich.«
    Um die neuen Postulanten vor allen äußeren Einflüssen zu bewahren, wurden sie innerhalb des Ordens durch die hohen Mauern des Seminars von der Außenwelt abgeschnitten; außerdem hielt man ihren Geist gefangen, indem man sie vom Wecken bis zum Schlafengehen einem äußerst rigiden Reglement unterwarf. jeder Verstoß wurde von einem Tribunal verurteilt: dem Offizialat. Die Strafe richtete

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