Die rechte Hand Gottes
Abschiedsgeschenk, eine alte Mönchskutte, die nicht sonderlich roch, ein Stück Kordel anstelle eines Gürtels und ein Paar abgelaufener Sandalen mit auf den Weg gab. Dann hatte er ihn mitten auf dem Kopf einen Zollbreit kahlgeschoren, die für Novizen übliche Tonsur. Während er das tat, hatte er Justinien in weihevollem Ton vor den Dämonen gewarnt, diesen Dienern des Teufels, vor denen es auf den Straßen des Königreichs nur so wimmelte und auf die er möglicherweise treffen könnte.
»Das Schlimme, mein Kind, ist, daß dir der Dämon in vielerlei Gestalt begegnen und dich foppen kann. Er kann sich dir in Gestalt eines Pferdes, eines Hundes, einer Katze und natürlich in Gestalt eines Ziegenbocks zeigen. Aber auch als anständig gekleideter Mann, schmucker Soldat oder sogar als hübsches Weibsbild. Er ist sogar schon unter der Kutte eines Jesuiten entdeckt worden.«
»Aber was soll ich denn da tun?«
»Man muß wachsam und aufmerksam sein. Der Dämon kann zwar eine bestimmte Gestalt annehmen, aber er kann sie nicht perfekt nachahmen. Deshalb ist er ja auch nur ein Dämon. Irgend etwas wird immer fehlen oder zu stark betont sein. Denk daran, daß man in den ganz offensichtlichen Fällen Schwefel riecht, und wenn er einen fahren läßt, verwelken die Blumen in einem Umkreis von zwanzig Fuß ... Du mußt immer auf der Hut sein. Er wird nicht umsonst auch das Böse genannt.«
» Etwas verstehe ich nicht, Patenonkel, warum ist Gott, der doch allmächtig ist, in dieser ganzen Zeit damit noch nicht fertig geworden?«
Die Glocke, die zur Ablösung der Wächter der immerwährenden Anbetung des Heiligen Präputiums läutete, hatte Abbé Melchior einer Antwort enthoben. Er forderte den jungen Mann auf, sich den Wächtern anzuschließen, die gerade in den Hof kamen und auf die Kapelle aus dem XI. Jahrhundert zugingen. Ihre Stimmen vereinten sich mit denen derjenigen, die gerade aus der Kapelle kamen und das Veni Creator sangen. Für keinen einzigen Augenblick, und sei er auch noch so winzig, durfte die Kette der immerwährenden Anbetung unterbrochen werden. So ging es nun schon seit fünf Jahrhunderten, und so würde es bis zum jüngsten Tag weitergehen.
Draußen im Gang konnte der junge Mann nur schlecht seine mangelnde Begeisterung bei dem Gedanken daran verbergen, zwei Stunden lang ununterbrochen auf dem Fliesenboden kniend zu beten. Er folgte den Wächtern dennoch und trat nach ihnen in die Kapelle, in der es stark nach Weihrauch roch. Im Vorbeigehen versäumte er es nicht, die Grabplatte, unter der der Bannerherr Gauthier Fendard aus reiner Demut hatte begraben werden wollen, mit Füßen zu treten.
Ohne ihren Gesang zu unterbrechen, knieten sich die Wächter auf die schachbrettartig angeordneten Steinplatten. Sie breiteten die Arme aus und richteten ihre Augen auf das geheiligte Präputium des Jesuskindes - ein kleines Stück zusammengeschrumpften Fleisches. In dem phallusförmigen Reliquiar aus Kristallglas, das mit Gold und Vermeil eingefaßt war, konnte man es kaum erkennen.
Zwei Stunden später kündigte das Läuten der Glocke die Ablösung an, und andere Wächter erschienen. Justinien konnte sich endlich auf den Weg zum Priesterseminar des Ordens machen.
Dieses befand sich zehn Meilen von Roumégoux entfernt auf dem Weg nach Racleterre. Er war anderthalb Tage dorthin unterwegs. Die einzig nennenswerten Zwischenfälle: Er bekam einen Sonnenbrand auf seiner frischen Tonsur und er mußte sich gegen herumirrende Hunde zur Wehr setzen, die ihn nur zu gern verspeist hätten, denn sie waren anscheinend völlig ausgehungert.
Ein Stück des Weges ging er zusammen mit einem berufsmäßigen Ablaßerbitter, der im Auftrag eines Lehnsherrn aus dem Limousin, der viel abzubüßen hatte, zur Schwarzen Madonna von Rocamadour unterwegs war.
Dieser etwa dreißig Jahre alte Mann rühmte sich, schon einmal im Heiligen Land und dreimal in Compostela gewesen zu sein, einmal davon barfuß (was ihm den dreifachen Satz einbrachte). Seine Offenheit überraschte Justinien, denn der Mann gab freimütig zu, daß er diesen Beruf eher aus Reise- und Abenteuerlust, denn aus Gottesfurcht gewählt hatte.
»Ich würde auch gern reisen. Ich möchte so gerne das Meer sehen..., aber ich gehöre mir nicht, ich bin von Gott dem Orden versprochen. Ich muß also ein Wächter werden.«
» Ein Wächter! Du bist auf dem Weg zum Priesterseminar ihres Ordens?«
Alle Fröhlichkeit war aus dem Gesicht des Ablaßerbitters gewichen.
»Ja, es
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