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Die rechte Hand Gottes

Die rechte Hand Gottes

Titel: Die rechte Hand Gottes Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michel Folco
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sich nach der Schwere der Vergehen. Diejenigen, die sich einer Todsünde schuldig gemacht hatten, wurden, um sich davon zu erlösen, zu einem Aufenthalt im »Schwarzen Schaf«, dem Gefängnis des Ordens, verurteilt, das von gestrengen Schwestern geführt wurde.
    Justinien mußte seine Nase abnehmen und sich von den Zollposten genauestens mustern lassen, bevor man ihm erlaubte, den Marktflecken zu betreten.
     
    Er erkundigte. sich nach dem Weg, durchschritt einige
    bevölkerte Straßen und gelangte schließlich zum Place Royale, wo sich das Seminar befand. Es lag hinter Mauern verborgen, die so dick waren wie die der gegenüberliegenden Burg Armogaste.
    Justinien ging auf die Pforte zu, die von zwei mächtigen hundertjährigen Eichen umrahmt wurde, und zog an der Glocke. Eine Luke öffnete sich, dahinter erschien ein bärtiges Gesicht.
    »Ich komme aus Roumégoux. Ich bin ein neuer Postulant.«
     
    Die Pforte öffnete sich einen Spaltbreit, er trat ein und sofort schloß sie sich wieder. Es gab ihm einen Stich, als er an die Worte des Ablaßerbitters dachte. Er folgte dem Bruder Pförtner und erblickte ein großes Gebäude wie in Roumégoux, das um eine Kapelle herum errichtet worden war, die der von Saint-Prépuce zum Verwechseln ähnlich sah. Er ging einen Wandelgang entlang, bis sie zu einer Treppe kamen, die in den ersten Stock führte. Dort befanden sich die Räumlichkeiten des Rektors Gédéon. Als Justinien eintrat, las dieser gerade den Discours sur l'histoire universelle von Monseigneur Bossuet, dem Erzieher des Sohns Ludwigs XlV.
    Nach einer eher etwas linkischen Verbeugung überreichte Justinien ihm ein Schreiben, das das Siegel des Großwächters trug.
     
    Der Rektor las den Brief, wobei er an manchen Stellen seinen Kopf, auf dem eine Perücke saß, schüttelte und dann verstohlen einen neugierigen Blick auf Justiniens Nase warf.
    »Postulant Justinien Trouvé, der Orden hat nichts mit unentschlossenen Herzen, mittelmäßigem Verstand und schwächlichen Leibern im Sinn. Ihr habt zwei Jahre, um uns zu beweisen, daß Ihr nichts dergleichen seid.«
    »Ich hoffe, ich werde mich der Ehre würdig erweisen, die mir ... «
    Eine Ohrfeige schnitt ihm das Wort ab, verrückte seine Nase, betäubte ihn halb.
    »Regel Nummer eins«, erklärte Rektor Gédéon in freund-
    lichem Ton, »ein Postulant spricht nur dann, wenn man ihn dazu auffordert.«
    Justinien schob seine Nase wieder an ihren Platz; seine Wange brannte wie Feuer, und wilde Gedanken schossen ihm durch den Kopf.
    »Ihr müßt wissen, mein junge, diese Ohrfeige war gewiß keine Strafe, weil Ihr gegen eine Vorschrift verstoßen habt, die Ihr überhaupt nicht kanntet; nein, diese Ohrfeige ist Bestandteil einer Erziehungsmethode, die dazu dient, selbst das Gedächtnis der Begriffsstutzigsten durchzulüften. Ich bemerke Euren skeptischen, aber auch vorwurfsvollen Blick, doch ich kann Euch versichern, daß Ihr wohl nicht so schnell unsere Regel Nummer eins vergessen werdet. Habe ich mich klar und deutlich ausgedrückt, Postulant Trouvé? Antwortet.«
    »Ja, edler Rektor«, log Justinien, der nicht zugehört hatte.
    Seine Wange schmerzte. Es war das erste Mal, daß man ihn geohrfeigt hatte, und er mochte es überhaupt nicht.
    »Wie alt seid Ihr? Antwortet.«
    » Sechzehn Jahre, edler Rektor.«
    Rektor Gédéon seufzte. Er bedauerte es, daß die Mönche so spät rekrutiert wurden, und er gehörte zu denjenigen, die dem Großwächter - denn nur dieser konnte die Vorschrift ändern - empfahlen, die Altersgrenze aufzuheben. »je jünger unsere Postulanten sind, Monseigneur, desto einfacher ist es für uns, sie zu formen. Ihr Geist ist dann noch so biegsam wie weiches Gras, und es ist leichter für uns, ihnen für immer die Lust oder auch nur den Gedanken daran, eines Tages ein anderes Leben zu führen, auszutreiben.« Der Rektor seufzte noch einmal. » Sein Geist ist sicher schon hart wie Stein«, mutmaßte er und musterte den Neuen zweifelnd.
    » Folgt mir. Ich werde Euch nun Eurem Sittenpräfekt vorstellen.«
    Dieser befand sich am anderen Ende des Ganges in einem Zimmer, das zwischen zwei Schlafsälen lag. Justinien sah einen alterslosen, kleinen, knochigen Mann. Er war schlecht gekleidet und trug eine schwarze Soutane, die an den Ärmeln und am Hals abgewetzt war. Er blickte Justinien mit schmerzerfülltem Gesicht an, wie jemand, der jeden Augenblick eine schlechte Nachricht bekanntgeben wird. In Wirklichkeit war er kurzsichtig. Seine Aufgabe im Seminar war es

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