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Die rechte Hand Gottes

Die rechte Hand Gottes

Titel: Die rechte Hand Gottes Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michel Folco
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abrutschten. Er fiel fünf Meter tief. Bei diesem Sturz verstauchte er sich den rechten Knöchel, stieß sich den Augenbrauenbogen an einem Kiesel auf und biß sich ein kleines Stück von der Zunge ab. Er erkannte den Platz, die Umrisse der Burg Armogaste, die Häuser. Er richtete sich auf und versuchte, auf einem Bein hüpfend, zum ersten der Häuser zu gelangen. Dabei brüllte er, so laut er konnte:
    » Helft mir, ihr rechtschaffenen Leut'! Wache! Wache! «
     
    Doch schon öffnete sich die Pforte für den Sittenpräfekt und all die anderen, die ihn in kürzester Zeit überwältigt hatten.
    »Immerhin ist es mir gelungen, herauszukommen«, sagte er sich, um sich zu trösten.
     
    Justinien erschien vor dem Offizialat mit verbundenem Knöchel. Er wurde zu sechs Monaten im »Schwarzen Schaf« verurteilt, aber sein Patenonkel verwendete sich für ihn und so durfte er die Strafe in Roumégoux in einer der Zellen verbüßen, die auf die Kapelle des Heiligen Präputiums hinausgingen. Dort schrieb er zehn Stunden am Tag das Evangelium ab, und zwar mit Kreide auf einer Schiefertafel, denn Papier war teuer.
    Der Winter war gerade vorüber, und wie jedes Jahr nach der Schneeschmelze waren die Wege im Rouergue allmählich wieder befahrbar. In Roumégoux ließen sich die Postkutsehen wieder blicken, und mit ihnen tauchten die Hausierer mit ihren staubigen Füßen, die Prediger mit ihren großen Stöcken, die Pilger mit ihren ausgestreckten Händen, die Schweinetreiber, Diebe aller Art, die Steuereintreiber, die Vagabunden, die Galeerensträflinge wieder auf...
     
    Der Monat der Ostereier hatte gerade begonnen, als auf dem Place du Ratoulet an einem Markttag eine Gauklertruppe auftrat. Sie bestand aus einem Troubadour und Seiltänzer, der einen Klafter über der Erde Harfe spielte, einem Jongleur und Akrobaten, der nur auf seinen Händen ging, und zwei Frauen. Die jüngere tanzte barfüßig die Tarantella, während die andere, deren Haar schon leicht grau war, dazu das Tamburin schlug.
    Bei den Coutoulys saß Éponine in der Ecke unter dem Bildnis der Heiligen Agathe und stillte zur selben Zeit zwei Säuglinge, während sie mit ihrem Fuß die Wiege hin und her bewegte, in der ein dritter vor Hunger brüllte. Nicht weit von ihr holte Justinien gerade die ganze Asche aus dem Kamin (Éponine verwendete sie zum Waschen), als Martin mit der Neuigkeit kam, daß »Spaßmacher« auf dem Platz eine Vorstellung gäben. Justinien drehte sich zu seiner Ziehmutter um und sah sie flehentlich an.
    »Na, lauf schon, du brennst ja darauf«, seufzte sie und blickte ihren Ehemann finster an.
    Justinien ließ Schaufel und Eimer stehen und lief hinter Martin her. Sie mußten die Ellenbogen gebrauchen, um sich einen Weg durch die Menge von Neugierigen zu bahnen, die sich um die Truppe drängte. Der Anblick der Tänzerin, die sich zum ruckartigen Rhythmus des Tamburins bewegte, wirkte auf den jungen Mann, als wenn ihm ein Liebesstrahl durch die Brust gefahren und ihn mit voller Wucht ins Herz getroffen hätte. Sein Puls ging schneller, ihre Blicke begegneten sich mehrere Male. Er wurde rot, als ihr der Rock sehr hoch um ihre langen braunen Schenkel flog.
    Martin, der ihn aus den Augenwinkeln beobachtete, machte ein zufriedenes Gesicht. Der Junge reagierte in der Hose so, wie er es sich gewünscht hatte.
    Nach seinem Ausschluß aus dem Priesterseminar des Ordens und seiner sechsmonatigen Buße lebte Justinien wieder im Haus seiner Eltern und machte ihnen wirklich nur Freude. Wenn er sich nicht im Haus oder im Garten nützlich machte, verdiente er sich ein paar Sols, indem er beim öffentlichen Schreiber des Dorfes aushalf, der häufig überlastet war, weil seine Zeitgenossen derart streitsüchtig waren.
    An diesem Nachmittag jedoch war Justinien zerstreut und beging den Fehler, die ungelenke Schrift für ein Gesuch zur Befreiung vom freitäglichen Fasten zu benutzen, was eindeutig die bescheidene verlangte. Er mußte noch einmal von vorne anfangen und die Kosten für das verschriebene Blatt Papier wurden ihm vom Lohn abgezogen.
    Die Sonne ging bereits hinter den in der Ferne liegenden Bergen des Aubrac unter, als er endlich zum Place du Ratoulet zurückkehren konnte. Er fand ihn leer vor. Ein Kesselflicker, der gerade seine Erde zum Entfetten und seine Steine zum Fleckentfernen einpackte, erklärte ihm, wie er zur Pont du Saint-Esprit kam, wohin er die Truppe hatte ziehen sehen. Justinien lief und blieb nicht eher stehen, bis er in Höhe der letzten

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