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Die rechte Hand Gottes

Die rechte Hand Gottes

Titel: Die rechte Hand Gottes Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michel Folco
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Häuser angekommen war, die nicht weit von der Brücke entfernt standen. Er trat näher und fühlte, wie sein Herz ihm bis zum Hals schlug, als er am Ufer den Planwagen und den Ochsen, der jetzt graste, entdeckte. Die Gaukler saßen um ein Feuer versammelt, das sie in der Nähe des Brückenbogens entfacht hatten.
     
    Justinien blieb an der Böschung stehen und traute sich nicht, zu ihnen hinunterzugehen. Er begnügte sich, ihnen dabei zuzusehen, wie sie sich um die Feuerstelle drängten, über der ein Topf aus gebranntem Ton warmgemacht wurde. Der Troubadour mit den pockennarbigen Wangen bemerkte ihn zuerst. Er sagte etwas zu Justinien, was dieser nicht verstand. Die anderen drehten sich zu ihm um. Die
     
    Tarantella-Tänzerin ließ das Huhn los, das sie gerade rupfte, und ging ihm entgegen.
    »Ich wußte, daß du kommen würdest«, sagte sie mit starkem provenzalischen Akzent.
    Sie nahm ihn bei der Hand und zog ihn zu ihrem Lagerplatz. Dabei lächelte sie ihm zu, wobei ihre schönen weißen Zähne und eine breite rosa Zunge zum Vorschein kamen
    »Das ist Baldo und der hier, das ist Vitou. Und das ist meine Mutter, sie wird la Margote genannt... Und du, wie heißt du?«
    »Justinien ... und... äh, und Ihr?«
    »Ich, ich heiße Mouchette.«
    Die junge Frau kam ganz dicht an ihn heran, besah sich seine Nase ganz genau, verlangte aber nicht von ihm, sie abzunehmen. Ohne weitere Förmlichkeiten griff sie nach einer bunten Decke und zog ihn hinter eine der Baumgruppen, die das Ufer säumten.
     
    Mit klopfendem Herzen beobachtete er, wie sie die Decke auf dem Gras ausbreitete, sich darauf kniete und ihre Korsage aufschnürte. Schon bald kamen zwei weiße Kugeln mit einer braunen Aureole zum Vorschein, und als er sie berührte, stellte er fest, daß sie weich, warm und fest waren.
    Mouchette war einfallsreich, Justinien dafür empfänglich: Sie merkten weder, wie die Zeit verstrich, noch spürten sie die Mücken, die es, genau wie sie beide, aus vollem Herzen genossen. Für den jungen war es das erste Mal, für die Tänzerin nicht.
    »Ich würde dich gerne wiedersehen«, sagte er, als der unvermeidliche Augenblick der Trennung gekommen war.
    » Komm morgen wieder«, schlug Mouchette vor, während sie die Zweiglein, die sich in ihren Haaren verfangen hatten, entfernte. »Wir ziehen nicht vor Sonntag weiter. Warte, du schuldest mir noch zwei Sols.«
    »Ah! Aber warum?«
    »Das ist so Brauch. Du mußt bezahlen.«
    »Ich kenne diesen Brauch nicht.«
    Er kramte in seinen Taschen, förderte aber nicht mehr als
    drei Deniers und einen Obolus zutage. »Gib nur her. Den Rest schreibe ich dir an, den kannst du mir ja morgen zahlen ... Übrigens, was ist mit deiner Nase passiert?«
    »Ich hatte einen Unfall, als ich klein war.«
    »Das muß ja ein merkwürdiger Unfall gewesen sein.«
    Bei den Coutoulys hatte man gerade schweigend das Abendessen beendet, als er zur Tür hereinkam.
    »Bei der Heiligen Agathe, da bist du ja endlich! Ich habe mir ganz fürchterliche Sorgen gemacht?« rief Éponine, die zugleich wütend und erleichtert war.
    Martin lächelte verständnisvoll, als er die dunklen Ringe unter seinen Augen, die Grashalme in seinem Haar und die Mückenstiche auf dem Gesicht und an den Händen bemerkte.
    Am nächsten Tag sah Justinien die Gaukler auf dem Platz wieder. Zwischen zwei Darbietungen boten sie an, Messer zu schleifen und Stühle neu mit Stroh zu bespannen. Das verheißungsvolle Lächeln Mouchettes, die ihn in der Menge ausgemacht hatte, versetzte ihn für den Rest des Tages in einen Zustand hektischer Betriebsamkeit.
    Sein Arbeitgeber, der öffentliche Schreiber, geriet außer sich vor Wut, als er entdeckte, daß Justinien die gotische Schrift für einen anonymen Brief gewählt hatte, in dem ein Liebhaber an den Ehemann verraten wurde, wo doch eine derartige Mitteilung, wie jedermann wußte, die eckige Schrift verlangte.
    Dieses Mal aß er zu Hause zu Abend und wartete, bis seine Adoptiveltern eingeschlafen waren, ehe er sich nach draußen schlich und durch die verlassenen Straßen zum Lagerplatz lief. In seiner zusammengeballten Faust hielt er den Taler im Wert von drei Livres, den ihm Papa Martin an dem Tag geschenkt hatte, als er sich zum Priesterseminar auf den Weg gemacht hatte.
     
    Die Gaukler hatten ihr Lager noch an derselben Stelle. Baldo spielte auf seiner Harfe, und Vitou rauchte eine Meerschaumpfeife, die einen langen, dünnen Pfeifenstiel hatte. Dicht am Feuer lag Mouchette ausgestreckt auf ihrer

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