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Die Regenbogentruppe (German Edition)

Die Regenbogentruppe (German Edition)

Titel: Die Regenbogentruppe (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andrea Hirata
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klar.
    »Die zweite Stimme«, sagte Bu Mus, »Kucai!«
    Jetzt war es Borek, der in die Luft sprang. Kucai wurde blass.
    »Die dritte Stimme … Kucai!«
    Kucai lächelte säuerlich.
    »Die vierte Stimme … Kucai!«
    »Die fünfte … Kucai!«
    So ging es weiter bis zum neunten Zettel.
    Da Harun nicht schreiben konnte, gab es nur neun Wahlzettel, aber Bu Mus achtete die politischen Grundrechte jedes Einzelnen. Sie blickte also zu Harun hinüber. Der lächelte sein breites Harun-Lächeln und rief mit klarer Stimme: »Kucai!«
    Kucai fiel in sich zusammen.
    *
    Drüben in der Ecke saß Trapani, hübsch wie ein Muskatfink. Er war das Maskottchen unserer Klasse. Trapani war ein Perfektionist mit einem auffallend schönen Gesicht, der Typ, in den sich alle Mädchen auf den ersten Blick verlieben. Haare, Hose, Gürtel, Socken und Schuhe waren stets makellos sauber und farblich aufeinander abgestimmt, nie fehlte auch nur ein Knopf.
    Trapani sprach nur, wenn es nötig war, und wenn er etwas sagte, dann war es druckreif. Er roch angenehm und hatte exzellente Manieren. Sein Wunschtraum war es, Lehrer zu werden und in einer abgelegenen Gegend zu unterrichten, um den Malaien dort eine Schulbildung zu ermöglichen. Sein ganzes Leben schien von R. N. Sutarmas Lied Wajib belajar zum Kampf gegen den Analphabetismus inspiriert zu sein. Trapani hing sehr an seiner Mutter. Vielleicht, weil er der einzige Junge neben fünf Schwestern war.
    Sahara, das einzige Mädchen in unserer Klasse, war wie die Serindit, die kleinen Papageien, geradeheraus und bestimmt. Sie war schwer von etwas zu überzeugen und noch schwerer zu beeindrucken. Die hervorstechendste Eigenschaft an Sahara war jedoch ihre außergewöhnliche Ehrlichkeit und Wahrheitsliebe. Lügen war für sie tabu. Selbst wenn man ihr gedroht hätte, sie ins Feuer zu werfen, wäre nicht eine einzige Lüge aus ihrem Mund gekommen.
    Sahara lag in beständiger Fehde mit A Kiong. Sie stritten, vertrugen sich und stritten wieder. Es war, als hätte sie das Schicksal dazu bestimmt, sich fortwährend zu bekriegen. Einmal sprach Trapani darüber, wie großartig er das legendäre Buch von Buya Hamak, Der Untergang der Van der Wijk , gefunden hatte.
    »Das habe ich auch gelesen«, meinte A Kiong. »Tut mir leid, aber mir hat es nicht gefallen. Diese ganzen Namen und Orte kann sich ja niemand merken.«
    Sahara schätzte das Buch auch besonders und fühlte sich persönlich getroffen. Sie schoss ohne Gnade zurück: »Ja, Allah! Wie kannst du denn schon einen Roman von Qualität beurteilen! Wenn Buya einmal ein Buch mit dem Titel ›Der freche kleine Gurkendieb‹ schreiben sollte, dann wäre das etwas für deinen Geschmack …«
    Sahara hatte aber auch eine sanfte Seite, die sich in ihrer Schwäche für Harun zeigte. Harun war ein freundlicher Junge, der nicht viel redete und gern lächelte, doch im Unterricht kam er nicht mit. In jedem Fach, egal in welchem, hob er die Hand und stellte das ganze Jahr über immer dieselbe Frage: » Ibunda Guru , wann haben wir denn Lebaran-Ferien?« Und das hundert Mal, tausend Mal.
    »Es dauert noch etwas, es dauert noch etwas«, antwortete Bu Mus immer wieder sanft und geduldig. Harun klatschte freudig in die Hände.
    In jeder Mittagspause saßen Sahara und Harun einträchtig unter dem Filicium. Eine eigentümliche Freundschaft verband die beiden, wie zwischen einem Eichhörnchen und einer Schildkröte. Harun erzählte mit Begeisterung von seiner Katze mit dem dreifarbigen Fell, die gerade erst drei Junge geworfen hatte, alle drei dreifarbig, und das gerade am Dritten des vergangenen Monats. Sahara hörte ihm geduldig zu, obwohl Harun jeden Tag dieselbe Geschichte erzählte, tagaus, tagein, immer wieder, die ganzen Jahre hindurch. Die Drei war für Harun eine magische Zahl. Alles brachte er mit der Drei in Verbindung. Inständig bat er Bu Mus, ihm beizubringen, wie man die Drei schreibt. Drei Jahre dauerte es, dann konnte er es endlich. Auf jedes Heft malte er dann eine schöne große Drei in allen möglichen Farben. Die Drei war seine Obsession. Er trug immer drei Paar Socken. Er hatte drei Taschen mit jeweils drei Flaschen Sojasoße. Er schleppte auch immer drei Kämme mit sich herum. Als wir ihn fragten, warum er denn die Drei so schätzte, dachte er lange nach und antwortete dann mit der bedächtigen Weisheit eines Dorfältesten, den man um Ratschluss gebeten hat: »Freunde, Gott liebt die ungeraden Zahlen.«
    Ich betrachtete oft sein Gesicht, um

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