Die Regenbogentruppe (German Edition)
wollte sich das Krokodil ihm unterwerfen, plötzlich wedelte es mit dem Schwanz wie ein Hund.«
Wir waren baff.
»Und einen Moment später«, setzte Lintang vorsichtig fort, »stürzte es sich mit einem ungeheuren Satz in den Sumpf. Das gab einen Krach, als wären sieben Kokospalmen auf einmal umgefallen.«
»Und Bodenga?«, kam es von allen Seiten gleichzeitig.
»Bodenga wandte sich in meine Richtung. Mir war klar, dass er keinen Dank erwartete. Ich hatte Angst, ihm ins Gesicht zu blicken, aber er ging einfach vorüber …«
»Einfach so?«, fragte ich.
»Ja, einfach so. Ich finde, ich habe Glück gehabt, denn ich habe nun mit eigenen Augen gesehen, welche Macht Bodenga über Krokodile besitzt.«
Es stimmt, ich hatte Bodenga nie selbst bei solchen Taten beobachtet, aber ich kannte ihn besser als Lintang. Ich verband mit Bodenga die Gabe des zweiten Gesichts und den Inbegriff von Mitleid und Trauer.
*
Niemand war darauf aus, mit Bodenga Freundschaft zu schließen. Er war so um die vierzig, sein Gesicht war zerfurcht und von Narben bedeckt. Zusammengerollt schlief er unter einer Nipapalme, nur mit Palmzweigen zugedeckt, manchmal zwei Tage und zwei Nächte hindurch wie ein Eichhörnchen. Wenn er Hunger verspürte, stieg er in den alten Brunnen vor der ehemaligen Polizeistation, tauchte unter, fing sich einen Aal und verschlang ihn noch im Wasser.
Er war ein absolut unabhängiges Geschöpf, frei wie der Wind. Er war kein Malaie, kein Chinese, auch kein Sawang, er war überhaupt nicht einzuordnen. Er besaß keinerlei Religion und war stumm. Aber er bettelte nicht und stahl auch nicht. Natürlich war er nicht amtlich registriert. Er war taub, denn er hatte einmal im Lenggang nach zinnhaltigen Steinen getaucht und war dabei zu tief geraten, sodass ihm beim Auftauchen die Ohren bluteten.
Bodenga war wie ein einsames Stück Treibholz. Der Einzige aus der Familie, von dem man sonst wusste, war sein einbeiniger Vater. Die Leute erzählten, er habe sein Bein selbst geopfert, um mehr Zaubermacht über die Krokodile zu erhalten. Sein Vater war in der Tat ein bekannter Schamane gewesen, der Krokodile verehrt hatte. Mit dem Vordringen des Islam im ganzen Dorf hatten sich die Leute von Bodengas Familie zurückgezogen, denn diese wollte nicht von ihrem Krokodilkult ablassen.
Bodengas Vater war mittlerweile tot. Er hatte sich von Kopf bis Fuß ganz fest mit Wurzeln des Warungabaums umwickelt und sich in den Mirang gestürzt. Mit voller Absicht hatte er sich den Krokodilen als Beute vorgeworfen. Die Leute fanden später nur Teile seines Holzbeins. Seitdem verbrachte Bodenga seine Tage damit, die Strömung des Mirang zu betrachten, manchmal bis spät in die Nacht.
Eines Nachmittags strömten die Dorfbewohner in großen Scharen zum Basketballplatz der staatlichen Schule. Man hatte gerade ein Krokodil gefangen, das offenbar eine Frau, die in Manggar am Fluss Wäsche gewaschen hatte, gepackt und gefressen hatte. Da ich noch zu klein war, schaffte ich es nicht, mich durch die Menge hindurchzuzwängen, die sich um das Krokodil drängte. Ich konnte nur zwischen den Beinen der dicht Herumstehenden ab und zu einen Blick erhaschen. Sie hatten dem Krokodil das Maul aufgesperrt und ein Holzscheit als Keil zwischen Ober- und Unterkiefer geklemmt.
Als sie ihm den Bauch aufschlitzten, fanden sie Haare, ein Kleid und eine Halskette. In dem Moment drängte sich Bodenga durch die Menge und fiel neben dem Krokodil auf die Knie. Er war totenbleich. Er machte den Leuten ein Zeichen, dass sie damit aufhören sollten, das Krokodil zu zerlegen. Die Menge wich zurück, und jemand entfernte das Holzscheit aus dem Maul des Tieres. Sie wussten ja, dass die Leute, die Krokodile verehrten, glaubten, sie würden nach ihrem Tod selbst zu Krokodilen. Und sie sahen, dass das Krokodil für Bodenga seinen Vater verkörperte, denn ihm fehlte ebenfalls ein Bein.
Bodenga schluchzte. Sein Schmerz rührte alle.
»Baya, Baya, Baya …«, rief er leise.
Tränen liefen ihm über das pockennarbige Gesicht. Mir rannen auch die Tränen herunter, ich konnte sie nicht zurückhalten. Es war ein qualvolles Wehklagen, das aus seinem stummen Mund drang. Er band das Krokodil zusammen, schleppte den Leichnam seines Vaters zum Linggang hinunter, ließ ihn ins Wasser sinken und folgte der Strömung an der Uferböschung bis zur Mündung. Seitdem hatte man Bodenga nie mehr gesehen.
Das Erlebnis mit Bodenga prägte sich mir an jenem Nachmittag tief ein. Vielleicht war ich noch
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