Die Regenbogentruppe (German Edition)
er nicht sofort an zu singen, nein, er sah uns alle an, einen nach dem anderen. Wir waren etwas befremdet von seinem merkwürdigen Benehmen. Er legte sich die Hände auf die Brust wie jemand, der ein Gebet sprechen will.
Seine Handrücken glänzten ölig, wie gewachst, die Fingerkuppen waren voller Narben, die Nägel beschädigt. Seit der zweiten Klasse arbeitete Mahar nach der Schule bei einem Chinesen im Gemüseladen, wo er Kokosnüsse raspeln musste. Stundenlang bearbeitete er Kokosreste. Deswegen sahen seine Hände so ölig aus. Die rotierenden Messer der Raspelmaschine waren scharf und hatten ihm immer wieder die Fingerkuppen verletzt. Die Maschine stieß schwarzen Rauch aus und machte zudem einen fürchterlichen Lärm. Das war der Klang des Elends, der harten Arbeit und der Armut, aus der es kein Entrinnen gab. Mahar war dazu gezwungen, seine Familie zu ernähren, denn sein Vater war bereits gestorben und seine Mutter schwer krank.
»Ich möchte ein Liebeslied vortragen, Ibunda Guru , es handelt genauer gesagt von einer verratenen Liebe …«
Mein Gott! Ein Prolog dieser Art war bei uns sonst nicht üblich, und Mahars Thema war sehr ungewöhnlich. Wir kannten bisher nur drei Arten von Liedern: patriotische, religiöse und Kinderlieder.
»Das Lied handelt von einem Mann, dessen Herz bricht, weil ihm der beste Freund die Geliebte raubt.«
Mahar machte eine feierliche Pause. Er wirkte gedankenversunken, mit leerem Blick sah er aus dem Fenster, auf die vorbeiziehenden Wolken.
Verblüfft sahen wir, wie Mahar seine Tasche öffnete und ein Musikinstrument hervorzog: eine Ukulele!
Es wurde ganz still, und Mahar begann mit einem leisen, melancholischen Vorspiel. Er hatte die Augen geschlossen und sein Spiel ging dann langsam in die Melodie der ersten Strophe über:
I was dancing with my darling
To the Tennessee Waltz
When an old friend I happened to see
I introduced her to my loved one
And while they were dancing
My friend stole my sweetheart from me
Wir waren hingerissen vor Bewunderung. Das war der berühmte »Tennessee-Waltz« von Anne Murray.
Mahar sang mit großer Hingabe, in einem wundervollen Vibrato, so einfühlsam, dass es schien, als litte er selbst unter dem Verlust seiner Liebsten. Der Klang der Ukulele betonte noch die melancholische Stimmung.
Wir ließen alles liegen, womit wir uns gerade beschäftigt hatten, so beeindruckt waren wir, verzaubert von Mahars Stimme, die das Lied mit Seele erfüllte. Als der letzte Ton verklungen war, erhoben wir uns alle gleichzeitig und applaudierten lange, bestimmt fünf Minuten. Bu Mus versuchte vergeblich, ihre Tränen zurückzuhalten.
An diesem Mittag im Juli, auf dem Höhepunkt der Trockenzeit, während wir auf den Ruf zum Gebet warteten, war in der Armenschule Muhammadiyah ein Künstler geboren worden.
13 Erst nach diesem Auftritt merkten wir, wer Mahar wirklich war. In unseren Augen benahm er sich oft unpassend, redete dummes Zeug oder vertrat abwegige Ansichten, und wir hatten ihn als einen etwas seltsamen, exzentrischen Kerl abgestempelt, ohne zu begreifen, dass dieses Verhalten die Kehrseite seiner künstlerischen Begabung war. Wenn man es etwas allgemeiner betrachtet, dann zeigte unser Umgang mit Mahar, dass Menschen eher geneigt sind, die Fehler anderer zu sehen als deren Tugenden.
Dank Mahar hatte sich unser Klassenschiff wieder aufgerichtet, das durch Lintangs Begabung ziemlich Schlagseite nach links bekommen hatte. Zusammen mit Mahars Talent hatten wir nun je ein künstlerisches und ein intellektuelles Schwergewicht – sich im Spannungsfeld dieser entgegengesetzten Pole zu langweilen, war schlicht unmöglich! Da Lintang und Mahar sich rechts und links der Klasse gegenübersaßen, mussten wir immer rasch hin- und hergucken wie Zuschauer bei einer Tischtennispartie.
Als wir einmal auf Bu Mus warten mussten, ging Lintang nach vorn und zeichnete einen Entwurf an die Tafel, der zeigte, wie man aus Sagopalmblättern ein kleines Boot bauen konnte. Die Schraube wollte er mit einem kleinen Elektromotor antreiben, den er aus einem Kassettenrekorder ausgebaut hatte. Dazu gehörten dann noch zwei Batterien. Er stellte Kalkulationen zur Regelung der Geschwindigkeit an und erklärte uns die Grundregeln der Hydraulik. Mit seinen Berechnungen konnte er die Geschwindigkeit des Bootes im Verhältnis zu seiner Masse angeben. Ich war sprachlos, als ich das kleine Boot dann tatsächlich in einer großen Waschschüssel fahren sah.
Ein
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