Die Regenbogentruppe (German Edition)
riesige Geisterwesen.
Inzwischen war es Nacht geworden. Flo wurde nun schon seit zehn Stunden vermisst. Und die Suche hatte noch nicht die kleinste Spur erbracht. Das arme Mädchen war ganz allein im stockfinsteren Urwald. Möglicherweise hatte sie sich ein Bein gebrochen oder war ohnmächtig geworden. Vielleicht saß sie unter einem Baum, weinend und zitternd vor Angst und Kälte.
In ihrer Verzweiflung machten einige vom Suchtrupp den Vorschlag, einen alten Mann um Hilfe zu bitten, Tuk Bayan Tula.
*
Tuk Bayan Tula war ein berüchtigter Dukun , ein Schamane. Es hieß, er könne über der Erde schweben wie ein Nebelschwaden und sich hinter einem Grashalm verstecken. Jedenfalls war er mächtiger als Bodenga, der Krokodilmann, und mächtiger als alle anderen Dukuns . Niemand konnte verlässlicher wahrsagen als er. Tuk Bayan Tula war der einzige Dukun der Welt, so sagte man, der kraft seiner Magie das Meer überqueren konnte. Er brachte es fertig, jemanden auf dem fernen Java zu töten, schlicht indem er ein Mantra murmelte!
Die Malaien in den Dörfern glaubten, Tuk Bayan Tula sei halb Mensch, halb Gott – oder besser Geist.
Also wurden einige Leute ausgewählt, die zu Tuk Bayan Tula auf die Insel Lanun, wo er lebte, fahren und ihn um Rat fragen sollten. Ein Motorboot der Bergbaugesellschaft brachte sie dorthin.
Beim Morgengrauen war die Delegation zurück. Sie wurde in der Hoffnung auf ein unbegreifliches Wunder empfangen. Die Gesandtschaft brachte eine schriftliche Botschaft von ihm mit und erzählte haarsträubende Dinge von Tuk Bayan Tula.
»Der Dukun lebt in einer finsteren Höhle«, berichteten sie aufgeregt.
»Seine Augen glänzten wie die eines Papageien. Er trug nichts als einen langen Kain , den er sich um den Leib geschlungen hatte.«
Mahar hörte gebannt zu.
»Er schwebt über dem Boden, ohne ihn zu berühren.«
Jahrelang hatte ich in der Muhammadiyah bei unseren großartigen Lehrern gelernt, dass man die Wahrheit durch rationales Denken findet und dem Aberglauben der übernatürlichen Welt aus dem Wege gehen soll, daher war es für mich schwer, das alles zu glauben. Mahar aber bewunderte Tuk Bayan Tula grenzenlos. Und andere, die dort gewesen waren, bestätigten den Bericht. Schließlich bestand die Delegation auch nicht aus Kaffeebudenschwätzern, die wilde Geschichten in die Welt setzen, um sich selbst wichtigzutun.
Der Anführer der Gesandtschaft öffnete die Papierrolle und las vor:
»Das ist, was euch Tuk Bayan Tula zu sagen hat:
Wenn ihr das Mädchen finden wollt, sucht es bei der Hütte auf einem verlassenen Feld. Ihr müsst es rasch finden, sonst ertrinkt es im Mangrovensumpf.«
Die Nachricht bestürzte mich in ihrer Direktheit. Unleugbar ging eine gewisse Kraft von ihr aus. Falls er ein Dukun war, dann sicher ein echter. Denn mit dieser Botschaft setzte er seinen Ruf aufs Spiel. Es gab keine Zweideutigkeiten und keine versteckten Anspielungen.
Wenn wir Tuk Bayan Tulas magische Kraft auf die Probe stellen wollten, dann war jetzt der Moment dafür gekommen. Wir mussten das logische Denken ausblenden und seiner Anweisung folgen. Würden wir aber Flo nicht unversehrt bei einer Hütte auf einem verlassenen Feld oder tot im Mangrovensumpf finden, dann war Tuk Bayan Tula nicht besser als jene Betrüger, die ihre Glückswürfel am Straßenrand anbieten.
*
Auf Belitung wird bis heute Wanderfeldbau betrieben. Felder werden eine Zeitlang bestellt, dann ziehen die Bauern weiter. Es war jedoch gar nicht einfach festzustellen, welche Hütte einmal der Landwirtschaft gedient hatte. Es gab nämlich an den Hängen des Selumar auch viele verborgene Hütten, in denen Zinndiebe gehaust hatten. Zinnwäscher gruben an den Berghängen illegal nach Zinn und verkauften ihre Ausbeute an Schmuggler, die sich in den Gewässern um die Mündung des Linggang als Fischer ausgaben. Die illegalen Zinnwäscher errichteten Hütten und legten manchmal zum Schein auch Felder an, um ihre wahre Tätigkeit verborgen zu halten.
Illegal nach Zinn zu graben und Zinn zu schmuggeln hat eine lange Tradition. Diese kriminelle Aktivität – kriminell natürlich nur in den Augen der Bergbaugesellschaft! – gab es, seit die Holländer im 17. Jahrhundert aus China die ersten Khek als Bergarbeiter nach Belitung geholt hatten.
Die Bergbaugesellschaft ging mit unmenschlicher Härte gegen die Illegalen vor. In den einsamen Bergen galten Zinnwäscher als Diebe, auf hoher See galten Schmuggler als Piraten und waren damit
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