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Die Regenbogentruppe (German Edition)

Die Regenbogentruppe (German Edition)

Titel: Die Regenbogentruppe (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andrea Hirata
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Ruf. Das schlammige Wasser rund um das Unterholz der Nipapalmen sah aus wie ein finsteres Geisterreich, eine Brutstätte des Bösen. Warane aller Arten und Größen liefen da herum und zeigten keinerlei Scheu vor uns. Einige machten sogar Anstalten, uns anzugreifen.
    Nur wenige Menschen hatten sich bisher hierhin verirrt, und unter diesen wenigen waren wir die verrücktesten. Wir arbeiteten uns mit leisen Schritten voran. Alle hatten wir unsere Buschmesser gezückt und blickten fortwährend sichernd nach links und rechts. Wir liefen einer hinter dem anderen, sodass jeder den Rücken des Vordermanns schützte. Einmal hörten wir ein lautes Klappen und Gurgeln. Wir schwiegen, aber es war klar, dass das Geräusch von einem riesigen Krokodil kommen musste, das sein Maul zugeklappt hatte. Von den Ästen einiger Bäume hingen Schlangen herunter.
    Die Hütte befand sich etwa hundert Meter vor uns. Je weiter wir kamen, desto deutlicher erkannten wir, dass wir tatsächlich über ein ehemaliges Feld liefen, das nun verlassen war. Wer mochte so kühn gewesen sein, hier ein Feld anzulegen?
    Das Feld lag unfassbar dicht am Ufer des Buta. Der ehemalige Besitzer hatte offenbar möglichst nahe am Wasser sein wollen, ohne Rücksicht auf die eigene Sicherheit. Vielleicht war es diese Dummheit, die zu seinem frühen Tod geführt hatte, sodass das Feld nun herrenlos war? Jetzt hatten es jedenfalls Affen und Eichhörnchen in Besitz genommen.
    Neben der Hütte stand ein Rosenapfelbaum mit dichtbelaubten Ästen. Einer wippte so heftig hin und her, dass man fürchten musste, er werde jeden Moment abbrechen. Dahinter steckte sicher ein Langur, einer von denen, die ständig hungrig sind.
    Wir wollten dem gefräßigen Affen eine Lektion erteilen. Wir traten vorsichtig an den Baum heran. Verborgen im dichten Laub veranstaltete der große Langur ein unglaubliches Spektakel, er hatte uns noch nicht bemerkt. Wir wollten dem Affen einen schönen Schrecken einjagen – als kleines Vergnügen während unserer zermürbenden Suche nach Flo. Wir sprangen unter den Ast und schrien alle gleichzeitig, so laut wir konnten. Aber völlig unvermutet schlug die Situation in ihr Gegenteil um. Wir erstarrten, als wir einen weißen, unbehaarten Affen erblickten, der fröhlich auf einem Ast ritt, als wär’s ein Schaukelpferd. Sein Gesicht sah verschlafen und ungewaschen aus. Aber er lachte, bis ihm die Tränen kamen, als er sah, wie wir bleich vor Schreck dastanden. Es war Flo, wie sie leibte und lebte. Wir hatten sie wiedergefunden!

 
     
     
    23  In einem Buch habe ich ihn reiten gesehen. Er verschmolz ganz und gar mit seinem Pferd, wie Kublai Khans Steppenreiter. Seine Augen glänzten, als hätte der Gott der Speere sein Herz getroffen. Ich hielt den Atem an, als er sich vorsichtig an einen Elch heranschlich. Ich konnte es nicht erwarten, die letzte Seite zu lesen, auf der er die Liebe einer Frau zurückwies, die einer Verbindung von Tututni und Chimakuan entstammte. Denn er wollte das Blut der Pequot-Indianer, das in seinen Adern floss, rein halten. Dass er der Letzte seines Stammes war, stimmte mich todtraurig.
    Ich wurde nicht müde, immer und immer wieder von diesem stolzen Indianer zu lesen. Wie konnte es sein, dass mich eine Geschichte so fesselte und ich meinte, dort zu sein, in der Prärie von Yellowstone? Ich wusste nicht einmal, wo das war.
    »Das ist die Macht der Literatur«, sagte der Postbeamte.
    »Literatur? Was ist das?«, fragte ich mich.
    *
    In den Ferien halfen wir oft dem Postbeamten bei seiner Arbeit. Er konnte einem leidtun. Alles musste er allein erledigen, vom Morgengrauen an kümmerte er sich um die Postsäcke und Tausende von Briefen. Am Nachmittag nahm er Briefe an, Pakete und Postanweisungen. Abends machte er sich über die Postsäcke her, sortierte Briefe und fuhr sie mit dem Fahrrad aus. Das dauerte oft bis in die Nacht.
    Die Bürde, die dieser Mann tagein, tagaus zu tragen hatte, beschäftigte mich bis in den Schlaf. Ich wachte manchmal mitten in der Nacht auf und betete inständig: O Allah, ich weiß noch nicht, was ich werden möchte. Doch wenn ich groß bin, Allah, lass mich alles werden, nur kein Postbeamter, und gib mir keinen Beruf, der beim Morgengrauen beginnt. Dafür verspreche ich Dir, nie wieder das Fahrrad des Koranlehrers in den Banyanbaum zu hängen.
    Der Postbeamte zahlte uns ein paar Rupiah dafür, dass wir ihm die Postsäcke trugen. Er gab uns auch Gelegenheit, Bücher zu lesen wie zum Beispiel die Geschichte

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