Die Regenbogentruppe (German Edition)
chinesischen Schriftzeichen, die ich nicht lesen konnte.
»Miang sui«, erklärte sie, »das bedeutet Schicksal.«
A Ling ergriff meine Hand. Wir liefen vom Tempel weg zum Riesenrad.
Der Mann dort hatte bereits die Lampen gelöscht und war im Begriff, heimzugehen. A Ling bat ihn, das Riesenrad doch noch einmal in Betrieb zu setzen. Und tatsächlich ließ er sich erweichen, zeigte Verständnis für uns zwei Verliebte.
»Ich habe dein Gedicht ›Chrysanthemen‹ vor der Klasse vorgelesen«, sagte sie und setzte sich neben mich in die Gondel. »Es ist wunderschön.«
Ich war glücklich.
Und dann schwiegen wir beide, schwiegen zusammen und wollten gar nicht wieder aussteigen. Das Riesenrad zeichnete mit seinen Lampen ein Muster in den Himmel. Mein Herz war weit. Dies war die schönste Nacht meines Lebens.
22 Was uns Mujis, der Mückenjäger, berichtet hatte, stimmte offenbar. Vier Männer erschienen mit Schutzhelm und Bohrer auf dem Schulgrundstück. Es waren Vermessungsfachleute der Bergbaugesellschaft. Sie hatten den Auftrag, Bodenproben zu nehmen. Wenn der Zinngehalt hoch genug war, würden Bagger kommen und mit den Grabungsarbeiten beginnen.
In unserem Schulleben hatten wir schon genug mit den alltäglichen Schwierigkeiten zu kämpfen, und Mister Samadikuns Drohung schwebte weiterhin über uns. Mussten uns jetzt auch noch Bagger in Bedrängnis bringen?
Für einen Moment allerdings wurden wir von unseren Sorgen abgelenkt. Ein schneidiger Mann in Uniform kreuzte bei uns auf. Auf seiner Brusttasche war das Schriftzeichen der Pfadfinder, Praja Muda Pramuka, zu erkennen. Er wollte wissen, ob es bei uns Pfadfinder gebe.
Bu Mus schüttelte den Kopf. Wir waren zu arm, um eine Pfadfindergruppe zu gründen. An unseren normalen Hemden fehlten schon Knöpfe, wie hätten wir uns da eine Pfadfinderuniform leisten können!
Der Mann erklärte, er brauche Pfadfinder, um ein Mädchen zu suchen, das am Selumar verloren gegangen sei.
»Wir haben die Regenbogentruppe«, sagte Mahar.
»Was ist das?«
Da beschrieb Mahar ganz ernsthaft die Beziehung zwischen einem Regenbogen und den Kannibalen, die früher einmal Belitung bewohnten. Bu Mus und dem Besucher verschlug es die Sprache.
»Und wir sind bereit zu helfen«, fügte Mahar am Ende hinzu.
*
Es war schon später Nachmittag, als wir am Fuß des Selumar ankamen. Polizei, Such- und Rettungsdienst, Pfadfindergruppen und freiwillige Helfer waren dabei, auf den Berg zu steigen und nach der vermissten Schülerin zu suchen. Offenbar kam sie aus dem Gedong und ging auch dort zur Schule. Beim Wandern hatte sie sich von ihren Klassenkameraden getrennt und war verschwunden. Ihre Familie und die Lehrer waren völlig aufgelöst.
Überall waren Hundegebell und Rufe nach der Vermissten zu hören, die Megafonstimme hallte von den Bergwänden wider und verriet uns den Namen der vermissten Schülerin: Flo.
Die Dämmerung brach herein. Besorgnis stand in allen Gesichtern. Im Vorjahr hatten sich schon einmal zwei Jungen verirrt. Als man sie nach drei Tagen unter einem Mangobaum fand, aneinandergeklammert, offenbar um sich zu wärmen, waren sie bereits vor Hunger und Unterkühlung gestorben.
Die Gestalt des Selumar war einzigartig. Die bewaldeten Hänge sahen von allen Seiten gleich aus. Wenn man an einer bestimmten Stelle vorbeikam, glaubte man, hier schon gewesen zu sein, dabei war man, ohne es zu merken, bereits tiefer in den Urwald geraten.
Vielleicht hatte sich Flo nach Süden verirrt, in Richtung der reißenden Seitenflüsse des Linggang. Dort gab es Kiumi, tödliche Fallen aus Treibsand, der fest und sicher aussah, in dem man aber in Sekundenschnelle versinken konnte.
Wenn sie sich allerdings unglücklicherweise nach Norden hin verirrt hatte, steuerte sie geradewegs auf das sogenannte Todestor zu. Von dort gab es kein Zurück mehr, weil ein grausamer Fluss, der Sungai Buta , den Weg versperrte und in einen tiefen Abgrund führte. Buta heißt blind, finster, ausweglos, für immer gefangen, und das nicht ohne Grund.
Die Wasseroberfläche war so ruhig wie der stille Spiegel eines Sees. In Wirklichkeit lauerte unter seiner glatten Oberfläche der Tod: in Gestalt riesiger Krokodile und giftiger Wasserschlangen. Die Krokodile waren außerordentlich angriffslustig, sie lauerten Affen auf, die an niedrigen Ästen hingen, und fielen sogar Menschen in Booten an. Hohe alte Kasuarinen standen mit ihren Wurzeln im Flussbett. Teilweise abgestorben und schwarz, sahen sie aus wie
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