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Die Regenbogentruppe (German Edition)

Die Regenbogentruppe (German Edition)

Titel: Die Regenbogentruppe (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andrea Hirata
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voneinander getrennt. Je weiter man gelangt, desto größer wird der Abstand zwischen den beiden sich fortschlängelnden Siedlungen.
    *
    Wir Regenbogenkrieger hatten schon so oft auf dem Selumar gepicknickt, dass es uns schon fast langweilig war. Meistens kamen wir nicht bis ganz oben, fanden die Aussicht auf Dreiviertel der Höhe schon schön genug. Diesmal allerdings wollte ich unbedingt auf den Gipfel. Den anderen war das recht. Noch war nichts zu sehen, aber sie sprachen schon voller Erwartung von der fantastischen Aussicht, die wir bald von dort oben genießen würden.
    Mir war das jedoch nicht so wichtig, denn ich war auf geheimer Mission. Es hatte zwar etwas mit dem wunderbaren Ausblick zu tun, den man nur vom höchsten Punkt des Selumar aus haben kann, aber auch mit den besonderen Blumen, die nur dort auf dem Gipfel wachsen. Ich meine den Roten Zylinderputzer. Mit etwas Glück kann man dort auch die kleinen gelben Blumen mit den vier Blütenblättern finden, die Wilde Rauke.
    Ich nenne sie Bergwiesenblumen, weil sie gern auf den Bergkuppen in der Nähe des Meeres wachsen und sich dort im Gras verstecken. Die mattgelben Blütenblätter sind etwa daumenbreit, die Blüten sitzen an verschieden langen Stängeln, was sehr hübsch und lebendig aussieht. Zehn bis fünfzehn Stängel dieser gelben Blüten kombiniert mit einer Handvoll Roter Zylinderputzer ergeben einen Strauß, der jedes Frauenherz gewinnt. Nach drei Stunden Fußmarsch langten wir auf dem Gipfel an. Die Regenbogentruppe jubelte. Dann redeten alle durcheinander, jeder wollte seinen Kommentar zu dem Ausblick abgeben, der sich uns darbot.
    »Da ist unsere Schule«, rief Sahara lauthals. Das Gebäude wirkte auch von Weitem traurig. Aus welchem Winkel oder aus welcher Entfernung auch immer man es ansah, unsere Schule war nicht mehr als eine Koprascheune.
    Wie üblich trug Mahar eine Sage bei. Er sagte, der Selumar wäre ein Drache, der sich zusammengerollt hätte und seit Jahrhunderten schliefe. Sein Kopf wäre der Berggipfel. Er läge genau unter unseren Füßen. Sein Schwanz ringelte sich um die Mündung des Lenggang.
    »Macht hier also nicht zu viel Lärm, sonst werdet ihr noch verwünscht«, fügte er hinzu.
    Wie üblich war A Kiong von Mahars Geschichten tief beeindruckt. Er blieb ganz ernst und nahm alles für bare Münze. Um Mahar seine Bewunderung auszudrücken, überreichte er ihm mit einer kleinen Verbeugung eine gebratene Banane, die er als Proviant dabeihatte. Es war, als ob der Angehörige eines primitiven Stammes einen Medizinmann dafür belohnt, dass er ihn von der Krätze geheilt hat. Mahar griff sich die Banane und verschlang sie, ohne die Bewunderung zu beachten, die ihm A Kiong entgegenbrachte. Die Regenbogenkrieger lachten, aber A Kiong war es ernst, er dachte nicht daran, mitzulachen.
    Auch ich lachte nicht mit. Ich konnte meinen Blick nicht von dem kleinen roten Viereck lösen, das unten in der Ferne lag.
    Ich ging über die Wiesen auf dem Gipfel und pflückte Wildblumen, Rote Zylinderputzer und Wilde Rauken. Dazu band ich grüne Zweige.
    Der Blick vom Gipfel war wirklich unvergleichlich schön. Eine dicke weiße Wolke zog über den Himmel, so niedrig, dass man meinte, nach ihr greifen zu können. Man hörte den Klagekuckuck rufen, einmal ganz nah und schrill, dann wieder weiter entfernt und leise. Die Schamadrosseln schienen darauf mit kleinen Pfiffen zu antworten. In der Nähe erhob sich Geschrei von Waldtauben, die in großen Scharen auf einer Wiese mit Lilien niedergingen. In der Ferne sah man lange Reihen von Kasuarinen.
    Um diesen zauberhaften Blick zu genießen und die Blumen zu pflücken, hatte ich den Selumar bestiegen. Doch so überwältigend schön das alles war – der eigentliche Grund für den Aufstieg blieb für mich das kleine rote Viereck in der Ferne, das Dach von A Lings Haus.

 
     
     
    25  Ein strahlender Montagmorgen. Ein Gedicht von mir in einem violetten Umschlag mit Feuerwerksmotiven. Dazu der Strauß vom Gipfel des Selumar, zusammengebunden mit einer hellblauen Schleife. Die Blumen waren noch ganz frisch, sie hatten über Nacht in einer Keramikvase gestanden. Diese schönen Dinge sollten die Requisiten für das nächste Kapitel meiner Liebesgeschichte sein. Die Szene stand mir schon einige Wochen vor Augen, sie verlief so: Sobald mir A Ling die Kreideschachtel reichte, würde ich ihr den Blumenstrauß mit dem Gedicht in die Hand legen. Ich brauchte nichts zu sagen. Die Schönheit der Blumen vom Gipfel des

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