Die Regenbogentruppe (German Edition)
Wochenende fuhr Pak Harfan mit dem Fahrrad die hundert Kilometer nach Tanjung Pandan, einen Korb mit Feldfrüchten wie Süßkartoffeln, Ingwer, Ananas und Bananen auf dem Gepäckträger. Er wollte die Erträge aus seinem Garten verkaufen, um dafür Lehrbücher für uns zu besorgen. Auf der Rückfahrt machte er in der Bezirksbücherei Station und holte sich dort Muster von den Abschlussprüfungen der letzten Jahre.
Leider verschlimmerte sich Pak Harfans Asthma zusehends. Er hustete jetzt Blut. Wir bedrängten ihn immer wieder, doch eine Ruhepause einzulegen.
»Wenn ich nicht unterrichte, wird es nur schlimmer«, war jedes Mal seine Antwort. »Und wenn ich sterben muss, dann möchte ich in der Schule sterben«, scherzte er lächelnd.
Über mehrere Monate hinweg kehrten wir jeden Nachmittag nach der Koranstunde in der Moschee zur Schule zurück, um noch Extraunterricht von Pak Harfan zu bekommen.
An einem Nachmittag jedoch erschien Pak Harfan nicht. Nachdem wir einige Zeit in der Klasse gewartet hatten, gingen wir zu seinem Zimmer neben dem Schulgarten hinüber, klopften, aber niemand antwortete. Wir machten die Tür auf, da saß Pak Harfan, er hatte den Kopf auf den Tisch gelegt. Wir riefen mehrmals seinen Namen, aber er gab keine Antwort. Ich trat zu ihm, es war, als schliefe er fest. Ich rief noch einmal aus der Nähe, keine Antwort. Ich berührte seine Hand – sie war eiskalt. Er atmete nicht mehr. Pak Harfan hatte uns verlassen.
*
Über 51 Jahre war Pak Harfan Lehrer gewesen, seit seinem sechzehnten oder siebzehnten Lebensjahr. Er selbst hatte das Holz aus dem Wald geholt, um die Muhammadiyah zu bauen. Der größte Balken, den er auf den eigenen Schultern herangeschleppt hatte, war der Hauptpfeiler unseres Klassenraums geworden. An dem groben, großen Pfosten nahmen wir in all den Jahren unsere Maße ab, sodass das Holz voller Scharten von unseren Taschenmessern war. Für uns war der Pfosten der heilige Pfeiler unserer Schule.
Pak Harfan soll früher viele Schüler gehabt und auch viele junge Lehrer ausgebildet haben. Doch im Laufe der Zeit war der Glaube an die Schule geschwunden, und den Lehrern war der Stolz auf ihren Beruf abhandengekommen. Die Benachteiligung durch die Bergbaugesellschaft hatte die Begeisterung der Leute für ihre Schule stark gedämpft. Die Missachtung führte dazu, dass die Bevölkerung von Belitung glaubte, nur die Reichen, also nur die Kinder der leitenden Angestellten der Bergbaugesellschaft hätten Erfolg in der Schule und könnten auf der Universität studieren. Und als Lehrer hätte man nur eine Chance an der Schule der Bergbaugesellschaft. So kam es, dass ein Kind nach dem anderen aus dem Dorf die Schule verließ und ebenso ein Dorflehrer nach dem anderen aufgab. Sie wechselten den Beruf und wurden Arbeiter bei der Bergbaugesellschaft oder Fischer.
»Wozu sollen wir in die Schule gehen?«, sagten die Dorfkinder. »Wir können sowieso nicht weitermachen.«
Diese Entwickung wurde noch durch Beispiele verstärkt, wo Kinder scheinbar ohne Schule weiterkamen. Sie hatten ein Einkommen als Pfefferpflücker, als Aushilfen im Geschäft, auf einer der Werften, beim Fischen oder als Kokosraspler.
Für sie war die Schule unwichtig, vor allem, wenn sie eine Arbeit mit realtiv gutem Verdienst hatten, etwa wenn sie im Urwald nach Adlerholz oder Sandelholz suchten. Dann konnten sie sich sogar Motorräder leisten, während Pak Harfan, der Schuldirektor, Rupiah für Rupiah hatte beiseitelegen müssen, wenn er sich einen neuen Reifen fürs Fahrrad kaufen wollte. Für die Kinder, die in dem Teufelskreis der Armut, der Aussichtslosigkeit und Diskriminierung gefangen waren, stellte Schulunterricht bald eine sinnlose Anstrengung dar.
Pak Harfan war allerdings nicht müde geworden, den Kindern klarzumachen, dass Wissen einen Wert für sich selbst darstellte und Erziehung eine Verpflichtung gegenüber dem Schöpfer bedeutete. Dass Schule nicht immer nur darauf abzielen musste, einen Titel zu erwerben, Geld zu verdienen oder gar reich zu werden. Schule bedeutete für ihn Wert und Würde, gelebte Menschlichkeit, sie war Lust am Lernen und Bildung. Das war Pak Harfans Verständnis von Erziehung. Doch all dies konnte nicht zu den Kindern durchdringen, die infolge der Diskriminierung ihr Selbstwertgefühl bereits verloren hatten und durch materielle Dinge verblendet waren.
Trotzdem hatte Pak Harfan nichts unversucht gelassen, um sie für die Schule zu gewinnen. Er brachte ihnen Bücher, wenn es sein
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