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Die Regenbogentruppe (German Edition)

Die Regenbogentruppe (German Edition)

Titel: Die Regenbogentruppe (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andrea Hirata
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diese Symbole noch nicht geliefert hatte. Wir hatten zwar schon mehrfach beim Besitzer des Ladens nachgefragt, aber er hatte uns immer gesagt, die Sachen seien ausgegangen und er warte auf eine Sendung aus Jakarta.
    Die Bilder waren aber eine unverzichtbare Bedingung. Wenn sie fehlten, dann war alles andere bedeutungslos. Und Mister Samadikun war ganz bestimmt nicht bereit, unsere Entschuldigung zu akzeptieren.
    Das Tuckern des Auspuffs war verstummt. Mister Samadikun war bereits auf dem Schulgelände. Während wir uns eben noch für den Besuch gerüstet gefühlt hatten, hatte uns nun die Verzweiflung gepackt. Bu Mus wusste nicht, was sie tun sollte. Sahara brach in Tränen aus. Unser Klassensprecher Kucai stieß einen tiefen Seufzer aus, er hatte die Hoffnung aufgegeben. Alle unsere Anstrengungen, die Bedingungen zu erfüllen, und der Gewinn der Trophäen waren vergeblich gewesen. Unsere Schule würde mit Sicherheit geschlossen werden.
    Wir hörten, wie Mister Samadikun sein Motorrad abstellte. In wenigen Sekunden würde er durch die Tür kommen. Da rannte plötzlich Mahar durch die Klasse, sprang über die Tische und klammerte sich mit einem Griff wie ein Affe an die Wand. Mit der einen Hand hielt er sich fest, mit der anderen riss er die Poster von Bruce Lee, John Lennon und das neue Hochzeitsfoto von Trapanis Eltern von der Wand und zog auch die Nägel heraus. Verwundert beobachteten wir sein Tun. Mahar wirbelte herum, sprang abermals über die Tische und griff sich den Wischer von der Tafel. Er schob einen Tisch an die Wand unter der Tafel, stellte sich drauf, ging auf die Zehenspitzen und befestigte geschickt die Bilder darüber an der Wand. Dann schlug er mit dem Holzrücken des Wischers die Nägel ein.
    Mahar brachte die Poster im Dreieck an, so wie man normalerweise die Staatssymbole aufhängt. In der Mitte, leicht erhöht, wo üblicherweise der Garuda Pancasila hängt, hing nun das Hochzeitsbild von Trapanis Eltern. Etwas unterhalb rechts Bruce Lee in der Position des Präsidenten. Auf der anderen Seite John Lennon als Stellvertreter.
    Damit kehrte Mahar auf seinen Platz zurück. Mister Samadikun stand auf einmal vor uns.
    Keiner sagte ein Wort. Bu Mus zitterte.
    Mister Samadikun zog seine Checkliste heraus. Er ließ seinen prüfenden Blick von einer Ecke zur anderen schweifen und legte die Checkliste offen auf den Tisch, sodass wir alle Einblick hatten. Mit genauso grimmigem Gesicht wie immer begann er mit seinen Eintragungen.
    In der Rubrik für Tafel und Mobiliar, wo er früher ein E für schlecht geschrieben hatte, hob er nun seine Bewertung an und notierte ein C für genügend. In den Rubriken »Erscheinungsbild der Schüler« und »Toilette und Beleuchtung« bekamen wir sogar gute Noten. Als Mister Samadikun zur Kategorie »Staatssymbole und Ausstattung« kam, hielten wir alle die Luft an. Die Notapotheke und die Lehrmittel nahm er positiv zur Kenntnis, doch dann schaute er auf die Wand über der Tafel und musste sich offensichtlich große Mühe geben, um zu erkennen, was dort hing. Er schloss die Augen, nahm seine dicke Brille ab, holte ein Taschentuch aus der Hose, putzte die Gläser und setzte die Brille wieder auf. Er rieb sich mehrmals die Augen und versuchte zu erkennen, welche Bilder über der Tafel hingen. In diesem Moment begriffen wir, wie genial Mahar war. Er wusste, dass Mister Samadikun stark kurzsichtig war und die Bilder aus dieser Entfernung nicht deutlich erkennen konnte.
    Mister Samadikun wandte sich wieder seiner Checkliste zu und verbesserte in der Zeile »Staatssymbole und Ausstattung« sein früheres F für nicht vorhanden in A für vollständig. Mister Samadikun hatte keine Ahnung, dass das Wohl und Wehe der Republik Indonesien jetzt in den Händen von Bruce Lee und John Lennon lag.
    Mister Samadikun klappte seine Checkliste zu und lächelte. Es war das erste Mal, dass ich ihn lächeln sah. Sein Lächeln wurde sogar noch breiter, als er unsere Pokale erblickte. Er sagte allerdings weiterhin nichts, nickte nur. Dann verabschiedete er sich. Sein Nicken bedeutete, dass er unsere beharrlichen Anstrengungen, den Schulbetrieb aufrechtzuerhalten und unsere Existenzberechtigung zu beweisen, anerkannte, sodass er – und selbst der Erziehungsminister der Republik Indonesien – unsere Schule nicht schließen konnte.
    Nachdem Mister Samadikun gegangen war, betrachteten wir Mahar mit Bewunderung. Wie üblich vollführte er die Geste, die wir nicht ausstehen konnten. Er lächelte sein Idol

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