Die reinen Herzens sind
Sie hatte öfter davon gesprochen, daß ihre Eltern der Meinung seien, sie tauge zu nichts, sei zu fett, sei eine herbe Enttäuschung …«
Decker machte sich hastig Notizen. »Was ist passiert, nachdem Sie mit ihr gesprochen hatten?«
»Sie hat sich beruhigt und ist wieder an die Arbeit gegangen.«
»Dann haben Sie sie doch ganz gut gekannt.«
»Nein, nicht gut. Aber gut genug, um sie zu erkennen, wenn sie in jener Nacht im Krankenhaus gewesen wäre. Eine korpulente Frau wie sie ist kaum zu übersehen.«
»Darlene, Tandy wiegt mittlerweile knapp sechzig Kilo und ist schön wie ein Covergirl der Vogue!«
»Unmöglich.« Darlene sah ihn an. »Sie machen Witze, oder?«
»Ganz und gar nicht. Meine Kollegin hat mit ihr gesprochen. Ich gebe nur weiter, was sie mir erzählt hat.«
»Aber das Mädchen muß über hundertzwanzig Kilo gewogen haben! Ihr Gesicht sah aus, als nehme sie Steroide. Sie war richtig aufgedunsen.«
»Angenommen, jemand ist Ihnen in jener Nacht auf dem Korridor begegnet«, fuhr Decker fort. »Und Sie hätten diese Person nur flüchtig aus den Augenwinkeln wahrgenommen … hätten Sie eine große, schlanke Frau als Tandy Roberts erkannt?«
Die Schwester schloß die Augen. Dann machte sie sie langsam wieder auf. »Ich hatte in dieser Nacht verdammt viel zu tun. Vielleicht hätte ich sie erkannt, vielleicht auch nicht.«
Als Decker übers Funkgerät seine Codenummer hörte, griff er nach dem Mikro. Sekunden später stellte die Zentrale Marge zu ihm durch.
»Es gibt Neuigkeiten, Partner.«
»Bei mir auch«, antwortete Decker. »Treffen wir uns auf dem Revier, oder trinken wir irgendwo eine Tasse Kaffee zusammen?«
»Ich kann hier nicht weg. Ich beobachte Tandys Audi.«
»Okay, dann komme ich zu dir.«
»Nein, tu das nicht!«
Decker empfand Marges energischen Ton als Zurückweisung. »Was ist denn los, Detective Dunn? Warum willst du mich denn nicht in deiner Nähe haben? Bin ich aussätzig?«
Marge antwortete nicht sofort. »Ich möchte Tandy nicht durch einen Funkwagen der Polizei mißtrauisch machen. Diese Braut ist clever.«
»Na, gut. Dann unterhalten wir uns eben über Funk.«
»Ja. Machen wir’s kurz. Ich fange an.«
»Sag mir zuerst, ob Tandy Roberts in der Nacht der Entführung im Tujuna Memorial Hospital gearbeitet hat.«
»Hat sie, Pete. Aber ihr Dienst endete um elf Uhr. Sie könnte also noch einen Ausflug zum Sun Valley Pres gemacht haben.«
»Großartig.« Decker rekapitulierte seine Unterredung mit Darlene Jamison. »Ist gut möglich, daß Tandy im Sun Valley Pres gewesen ist. Selbst Leute, die ihr schon mal begegnet sind, hätten sie kaum wiedererkannt. In ihrer weißen Schwesterntracht wäre sie sowieso nicht aufgefallen.«
»Die Zeit arbeitet also für uns.«
»Wir brauchen jetzt nur noch Beweise, die sie mit der Entführung oder wenigstens mit dem Sun Valley in Verbindung bringen.«
»Wir sollten neuere Bilder von Tandy im Sun Valley herumzeigen«, schlug Marge vor. »Vielleicht erinnert sich jemand an die schlanke Version der einst dicken Tandy.«
»Offiziell hat sie seit mindestens zwei Jahren nicht mehr im Sun Valley gearbeitet. Man hat sie von der Personalliste gestrichen. Probleme mit ihrer Zulassung als Schwester. Paßt zu dem, was Leek uns von ihr und dem Seniorenheim erzählt hat. Offensichtlich gibt sich das Mädchen als staatlich geprüfte Krankenschwester aus.«
»Du meinst ›gab‹, Vergangenheit«, widersprach Marge. »Ich habe mich im Tujuna Memorial nach ihrer Zulassung erkundigt. Man hat mir gesagt, sie sei eine staatlich geprüfte Krankenschwester. Ich habe ihre Zulassungsnummer und alles.«
Decker dachte nach. »Gibt es so was wie ein Prüfungsgremium für Krankenschwestern in Sacramento?«
»Bestimmt«, antwortete Marge. »Dort gibt es doch alles.«
»Dann ruf in Sacramento an, und erkundige dich dort nach Tandys Zulassung. Ich erkundige mich, ob Mike interessante Benzinrechnungen auf Tandys Namen ausgegraben hat.« Decker überlegte. »Wir haben also Marie und Uly auf der Liste. Und vermutlich auch Tandy. Was schließen wir daraus?«
»Tandy und Marie haben beide Babys verloren. Vielleicht hat die eine das Kind entführt, und die andere hat ihr dabei geholfen. Die Frage ist nur, warum es soviel Liebe zwischen den beiden gab?«
»Hat Darlene nicht gesagt, Marie habe Tandy wie ihre Tochter behandelt?« bemerkte Marge. »Vielleicht ist sie ja ihre Tochter.«
»Du hast doch beide Frauen gesehen«, sagte Decker. »Sehen sie sich
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