Die reinen Herzens sind
Verwandte hat. Es ist mir egal, was Tandy in ihrem letzten Willen verfügt hat.«
Decker klappte den Mund zu. »Dürfen wir reinkommen, Mrs. Robles?«
»Henrietta«, verbesserte ihn die Frau. »Kurz Hetty. Und mein Name ist Roberts. Ich habe ihn nie in Robles geändert. Nur weil er die Midlife-crisis hatte, mußte ich nicht auch noch einen Spleen kriegen.«
»Sie sind Tandys Mutter?« fragte Marge.
Die schlammbraunen Augen der Frau verengten sich zu Schlitzen. »Lassen Sie mich noch mal Ihren Dienstausweis sehen.«
»Dürfen wir reinkommen?« wiederholte Decker. »Es sei denn, Sie möchten, daß Ihre Nachbarn mitkriegen, was wir zu besprechen haben.«
Hetty zögerte. Dann trat sie zur Seite.
Die Wohnung war einfach eingerichtet. Eine Couch, zwei Sessel, ein Couchtisch, auf dem Zeitschriften für Kunst und Inneneinrichtung lagen. Die Wandregale enthielten zahllose Bücher und abstrakte Skulpturen. An der Rückwand standen ein kleines Kinderbett und ein Paket mit Windeln.
»Bitte, seien Sie leise«, sagte Hetty. »Seine Majestät schläft. Und so soll es bleiben. Mit den beiden komme ich kaum zur Ruhe. Aber ich werd’s überleben. Ich habe schon Schlimmeres durchgemacht.«
»Darf ich das Baby sehen?« erkundigte sich Decker.
»Ohne Gerichtsbeschluß gebe ich das Kind nicht raus.«
»Einverstanden. Im Augenblick möchte ich nur das Gesicht sehen.«
Widerwillig gestattete Hetty Decker, einen Blick auf das Baby zu werfen. Decker zog die Polaroid-Aufnahme des Krankenhauses von Caitlin Rodriguez heraus. Er betrachtete sie kurz, dann ruhte sein Blick wieder auf dem Säugling.
Eine Welle überwältigender Erleichterung erfaßte ihn. Dann entspannte sich seine undurchsichtige, dienstliche Maske, und er grinste. Das war ansteckend. Marge lächelte ebenfalls.
Decker zeigte Caitlins Foto Mrs. Roberts. Die Frau seufzte tief und resigniert.
»Ich kämpfe um das Kind«, erklärte sie. »Die Aussicht, in meinem Alter noch einen Säugling aufziehen zu müssen, ist nicht verlockend. Aber sie ist meine Enkelin. Tandy kann nicht bei Sinnen gewesen sein, als sie mir in ihrem Testament die Vormundschaft über das Baby abgesprochen hat.«
»Testament?« sagte Marge.
»Testament, letzter Wille, letzte Verfügung. Nennen Sie’s, wie Sie wollen. Aber ich weiß, daß es rechtlich nicht haltbar ist. Meiner Tochter ging es nicht gut, als sie ihren letzten Willen unterschrieben hat.«
»Tandy ist nicht tot«, stellte Decker fest.
»Mir ist klar, daß es nicht einfach werden wird. Aber ich bin auf einen langen Kampf vor Gericht vorbereitet«, bekräftigte Hetty.
»Mrs. Roberts«, begann Marge. »Tandy ist nicht tot.«
Zum ersten Mal wirkte Mrs. Roberts verunsichert.
»Ihre Tochter ist sogar sehr lebendig«, bestätigte Decker.
»Unmöglich«, wehrte Hetty ab. »Die Hure hat gesagt, daß sie im Kindbett gestorben ist.«
»Die Hure?« wiederholte Marge.
»Mrs. Roberts, wer hat Ihnen dieses Baby gebracht?« fragte Decker.
»Die Hure. Sie hat behauptet, Tandys Hebamme gewesen zu sein. Sie wollte das Baby zu Geoff bringen, aber sie hat mich angetroffen. Die sprichwörtliche ausgleichende Gerechtigkeit.«
Einen Moment herrschte Schweigen. Decker dachte nach. Hettys Haß schien ehrlich. Trotzdem klang ein falscher Ton durch.
»Hat diese Hure einen Namen?« wollte er wissen.
Hetty verzog verächtlich den Mund. »Marie Bellson.«
»Marie Bellson hat diesen Säugling zu Ihnen gebracht, Mrs. Roberts?« erkundigte sich Marge.
»Besser bekannt als die Hure. Die Bezeichnung ist nicht auf meinem Mist gewachsen. Da können Sie jeden fragen, der damals in Berkeley gewesen ist. Alle haben sie so genannt. Sie hat sich selbst so genannt. Geoff war der einzige, der dämlich genug war, sich in sie zu verlieben.«
»Und sie wurde schwanger von ihm, stimmt’s?« sagte Marge.
Hettys Züge wurden hart. »Dieser verdammte Idiot! Ihr hat er unsere Ehe und unsere Tochter geopfert. Tandy hat ihm nie verziehen. Und aus irgendeinem unerfindlichen Grund hat sie auch mir nie vergeben. Dabei war ich ein Opfer wie sie.«
»Wie hat Marie Sie gefunden?« fragte Decker.
»Sie hat nicht mich gefunden.« Hettys Blick verdunkelte sich. »Sie hat ihn gefunden. Sie wußte, wo Geoff lebt. Geoff hatte sie besucht, als er nach L. A. gezogen ist. Aber sie wollte nichts mehr mit ihm zu tun haben.« Mrs. Roberts lachte bitter. »Jedenfalls stand sie plötzlich mir gegenüber. Die Qual in ihren Augen, als sie mir das Baby übergeben mußte, war ein
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