Die reinen Herzens sind
gegeben?«
»Sie hielt das Ganze für eine Routineuntersuchung. War ihre erste. Also hat sie keine Fragen gestellt, als der Arzt ihr die Narkosespritze gab. Ich wollte nur ihr Bestes.«
Das Bündel in Deckers Arme wurde plötzlich bleischwer. Er merkte, daß die Kleine eingeschlafen war. »Wie weit war Tandys Schwangerschaft fortgeschritten, als sie die Abtreibung hatte?«
»Tandy hat allen erzählt, sie sei im sechsten Monat.« Hetty zuckte die Schultern. »Aber es war viel früher. Tandy hatte eine überbordende Phantasie. Es hätte nicht funktioniert.«
»Wer war der Vater?«
»Ein verrückter, exzentrischer Fotograf. Nach der Abtreibung war er ebenso erleichtert wie ich. Er wollte eigentlich nichts mit Tandy zu tun haben.« Sie hielt inne. »Und selbst wenn er das Kind gewollt hätte, hätte es nicht funktioniert. Nicht mit solch einem Vater.«
»Meinen Sie damit, daß er bisexuell war?«
»Ja. Sehen Sie mich nicht so an, als käme ich aus dem Mittelalter. Die wissen nicht, was sie tun. Anfangs mögen sie gute Absichten haben, aber sie sind einfach nicht aus dem Material, aus dem Väter gemacht sind. So sehr sie’s auch versuchen. Ich weiß das aus Erfahrung.«
»Ihr Mann hat AIDS, Mrs. Roberts?« fragte Decker.
»Ja, Detective. Mein Mann hat AIDS.«
34
»Wie oft müssen wir das noch durchkauen?« Tandy warf das glänzende schwarze Haar über die Schultern. »Ich weiß nichts von dem Baby.«
Marge war schweißnaß unter ihrem Baumwollblazer. Das Vernehmungszimmer hatte Klimaanlage. Die Hitze schien also aus ihr selbst zu kommen.
»Aus zehn Millionen Bewohnern des Gebietes in und um Los Angeles sollte Marie Bellson sich rein zufällig ausgerechnet Ihre Eltern ausgesucht haben?«
»Was soll ich dazu sagen?« entgegnete Tandy.
Schweigen.
Tandy schlug die langen, schlanken Beine übereinander und zündete eine Zigarette an. Marge hatte Tandy für eine Körperfetischistin gehalten. Dann fiel es ihr ein. Eine Sucht ersetzte die andere. War jetzt das Rauchen an der Reihe?
»Irgendeine Idee, weshalb sie Ihre Eltern ausgesucht haben könnte?«
Tandy zuckte mit den Schultern.
Decker kam in das Vernehmungszimmer und machte die Tür zu. Tandy sah ihn flüchtig an.
»Was wird jetzt gespielt? Guter Polizist, böser Polizist?« Sie drückte die Zigarette in dem bereits überquellenden Aschenbecher aus. »Ich bin seit einer Stunde hier. Und ich habe Ihnen nichts von dem gesagt, was Sie hören wollten. Warum lassen Sie’s nicht einfach?«
»Ich möchte Ihnen nur ein paar Fragen stellen«, sagte Decker.
Tandy schnippte ein Stück Asche vom Tisch. »Warum vergleichen Sie beide nicht Ihre Notizen? Dann muß ich mich nicht ständig wiederholen.«
Decker musterte die junge Frau. Sie war eine der exotischsten Frauen, die er je gesehen hatte. Dunkel, schlank und katzenhaft. Die perfekte Femme fatale.
»Kein Grund, sich zu wiederholen.« Decker setzte sich ihr gegenüber und stützte die Ellenbogen auf den Tisch. »Ich habe Sie schon durch den Wandspiegel beobachtet.«
Tandys Blick schweifte zur Spiegelwand. »Ich hab mich schon gewundert, warum der Spiegel so dunkel ist.«
»Na, jetzt wissen Sie’s.« In Wirklichkeit hatte Decker das Revier erst vor wenigen Minuten betreten. Der Papierkram wegen Henrietta und Geoffrey Roberts hatte Stunden in Anspruch genommen. Während Hetty von ihnen festgehalten worden war, hatte sie einen Anwalt verständigt. Der hatte Mr. Roberts sofort aus gesundheitlichen Gründen für nicht vernehmungsfähig erklärt. In diesem Augenblick saß er mit Hetty auf dem Pacific-Revier und beantwortete Fragen.
»Möchten Sie was zu trinken? Oder was essen?« bot Decker Tandy an.
Essen.
Tandy zuckte nervös.
Essen! Essen!
Die gemeine Stimme. Die dumme.
»Schnauze!« murmelte sie.
»Wie bitte?« fragte Decker.
Tandy zuckte erneut. »Sehe ich hungrig aus?«
Ein wunder Punkt. Er sah das Zucken, registrierte die Nervosität. »Nur eine einfache Frage.«
»Sie haben keinen Grund, nett zu sein«, brummte Tandy. »Ich weiß, worauf Sie hinauswollen.«
Kontrolle!
»Sie versuchen, mich nervös zu machen«, erklärte Tandy.
Decker blieb gelassen. »Und Sie wollen ganz sicher nichts essen?«
Kontrolle!
Essen!
Kontrolle!
KONTROLLE!
Tandy seufzte. »Hören Sie! Es tut mir wirklich leid, was das arme Mädchen durchmachen mußte. Ich weiß, was es heißt, ein Kind zu verlieren. Aber zumindest hat sie ihr Baby wiederbekommen.«
»Mehr als Sie von sich behaupten können«, warf Marge
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