Die reinen Herzens sind
ein.
Tandy hob abrupt den Kopf. »Was hat Ihnen meine reizende Mutter denn sonst noch erzählt?«
»Sie hat erzählt, daß Sie dachten, es handle sich um eine Routineuntersuchung«, antwortete Decker. »Daß Sie zum erstemal beim Frauenarzt waren. Sonst hätten Sie gewußt, daß man für eine einfache Untersuchung nicht betäubt werden muß.«
»Es war sicher ein Schock, als Sie aufgewacht sind und feststellen mußten, daß Sie nicht mehr schwanger waren«, warf Marge ein.
»Was ist das bloß für ein Arzt, der so was macht?« fragte Decker.
»Was ist das für eine Mutter, die so was macht?« hielt Marge dagegen.
Tandy begann heftig zu blinzeln.
Essen! Essen, essen, essen …
Schnauze!
»Tandy?« sagte Marge.
»Glauben Sie, Sie können mich mit dieser Taktik der Nadelstiche weichkochen?« fragte sie leise. »Oder macht es Ihnen einfach Spaß, in der Vergangenheit anderer herumzuschnüffeln?«
»Irrtum. Wir fragen uns ehrlich, welcher Arzt so etwas Gemeines, Heimtückisches und Unmoralisches tun würde«, sagte Decker.
»Das Verhalten Ihrer Mutter erstaunt mich wirklich«, bemerkte Marge.
»Was glauben Sie, wie überrascht ich damals erst war?« sagte Tandy. »Ich war drauf und dran, sie umzubringen.«
Tandy zündete sich eine Zigarette an. »Die Praxis sah so sauber und toll aus. Ich dachte mir … ›Das wird ein Kinderspiele« Sie lachte bitter und zündete die nächste Zigarette an. Als sie merkte, daß sie bereits eine brennende Zigarette im Mundwinkel hatte, wurde sie rot und machte beide aus. Wut blitzte in ihren Augen auf. »Wenn Sie so neugierig auf die Motive meiner Mutter sind, warum fragen Sie sie dann nicht selbst?«
»Ist bereits geschehen«, antwortete Decker.
Tandy zögerte. »Und was hat sie gesagt?«
Daß du psychisch äußerst labil warst, Herzchen. »Daß sie nur das Beste für Sie wollte«, sagte Decker laut.
»Das ist ein Witz«, murmelte Tandy.
»Eine Mutter, die ihre Tochter auf diese Weise hintergeht«, sagte Marge kopfschüttelnd. »Sie müssen sich verraten und verkauft gefühlt haben.«
»Das ist noch zurückhaltend ausgedrückt.« Tandy warf ihr Haar über die Schulter. »Ich durchschaue Sie. Sie versuchen, mich mit Menschlichkeit zu locken. Mich zu Geständnissen zu verleiten. Wenn Sie Verdächtige suchen, verhaften Sie meine Eltern. Die hatten das Kind.«
»Wir kümmern uns bereits um Ihre Eltern«, antwortete Decker.
»Gut. Ich kann nur hoffen, daß der Richter sie einsperrt und den Schlüssel wegwirft.« Sie wirkte plötzlich ungeduldig. »Hören Sie, Marie ist verschwunden, nicht ich! Wenn ich ein Kind entführt hätte, glauben Sie, ich wäre dann so dämlich, es bei meinen Eltern abzuliefern und ganz normal mein Leben weiterzuführen wie bisher?«
Niemand sagte ein Wort.
»Ich habe seit fahren nicht mehr mit meinen Eltern gesprochen. Ich wußte nicht mal, daß sie wieder zusammen sind.«
»Damit hatten Sie wohl nicht gerechnet«, bemerkte Marge.
»Da haben Sie recht«, gab Tandy zu. »Das Leben ist voller Überraschungen. Außerdem haben meine Gefühle für meine Eltern nichts mit dieser Entführungsgeschichte zu tun. Ich bin noch hier, Leute, falls euch das noch nicht aufgefallen ist. Ich führe mein Leben weiter wie immer. Marie ist verduftet. Und apropos Motive. Was Marie betrifft … Mann, was soll ich sagen?«
»Ja, was können Sie sagen?« fragte Marge.
»Wenn Sie sich so gründlich mit Marie beschäftigt hätten wie mit mir, dann wüßten Sie, daß bei Marie die Menopause eingesetzt hat. Sie ist erst vierzig. Das war ein Schock für sie. Vermutlich ist sie durchgedreht.«
»Marie ist deswegen seit knapp einem Jahr in Behandlung«, sagte Decker. »Wenn Sie Marie seit Monaten nicht mehr gesehen haben, wieso wissen Sie dann über ihren Gesundheitszustand Bescheid?«
Das Zucken ihrer Gesichtsmuskeln wurde wieder stärker. »Ich habe nie behauptet, daß Marie mich nicht angerufen hat. Wir waren nur nicht mehr so eng befreundet. Nicht wie früher.« Tandy lächelte. »Ich hatte mich zurückgezogen. Marie war plötzlich so beherrschend geworden wie …«
Sie hielt inne. »Beherrschend wie Ihre Mutter?« ergänzte Decker.
: Sie sagen es.«
»Marie sieht Ihrer Mutter sehr ähnlich.«
Tandys Gesichtsmuskeln zuckten. »Na und?«
»Sind Sie Marie schon vor Ihrem Job am Golden-Valley-Altenheim einmal begegnet?« wollte Marge wissen.
Bring sie um!
Schnauze!
Bring sie um!
Marge wiederholte ihre Frage.
Bring sie um!
Schnauze, Schnauze,
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