Die reinen Herzens sind
tauchte Darlene auf. Sie wirkte wie betäubt.
»Was ist los, Darlene?« fragte Decker gereizt. »Alles in Ordnung?«
»Es ist …« Darlene schlug die Hand vor den Mund. »Wo, zum Teufel, ist Marie? Ich versuche sie dauernd über ihren Pieper zu erreichen, aber sie meldet sich nicht. Ich …«
Decker musterte die Kinderschwester prüfend. Sie war leichenblaß und zitterte. »Setzen Sie sich. Erzählen Sie uns, was los ist.«
Darlene warf Cindy einen hilflosen Blick zu. »Ich habe den Sicherheitsdienst benachrichtigt. Sie möchten sicher mit Ihnen reden.«
»Mit mir?« Cindys Handflächen wurden feucht. »Weshalb sollten sie mit mir reden wollen?«
»Was soll das?« Decker wurde laut.
»Ich kann es nicht fassen«, murmelte Darlene. »Um fünf nach zwölf ist sie zurückgekommen. Sie war auf dem Weg hierher, als ich rüber zu einer der anderen Säuglingsstationen gegangen bin, um dort auszuhelfen.«
»Wer soll hier gewesen sein?« fragte Cindy. »Marie? Marie ist in der vergangenen Stunde nicht einmal hier gewesen.«
»Ich kann nicht … Es ist einfach nicht … und Marie meldet sich nicht über ihren Pieper. Es ist völlig absurd! In all den Jahren als Krankenschwester … Ich habe nie …« Erneut sah sie Cindy an. » Irgend jemand muß hier gewesen sein, Cindy. Jemand war in der Säuglingsstation.«
»Vielleicht war jemand hier, Darlene«, erwiderte Cindy. »Ich war bei Hannah. Ich war nicht vorn im Hauptraum …«
»Aber Sie müssen jemand gesehen haben, Cindy. Wen haben Sie gesehen?«
»Ich habe niemanden gesehen«, betonte Cindy erneut. »Ich war mit Hannah beschäftigt.«
»Wieso nehmen Sie meine Tochter ins Verhör?« sagte Decker.
»Ich nehme sie nicht ins Verhör. Ich frage nur …«
»Warum?«
»Wenn nur Marie …«
»Warum wollen die Leute vom Sicherheitsdienst mit meiner Tochter sprechen?« erkundigte sich Decker streng.
»Weil Marie nicht da ist.« Darlene begann heftig zu zittern. »Und Cindy war vermutlich die letzte Person, die sie gesehen hat.«
»Aber Sie haben doch gesagt, daß Sie Marie im Korridor getroffen haben, Darlene!« entgegnete Cindy. »Damit sind Sie die letzte, die sie gesehen hat!«
»Nein, nicht Marie!« Darlene brach in Tränen aus. »Es geht um einen der Säuglinge. Ich kann die kleine Rodriguez nicht finden.«
12
Die Nase an der Glasscheibe starrte Decker auf die Reihen der Neugeborenen, menschliche Wesen, nicht größer als Puppen und völlig hilflos, unschuldig. Decker wurde das Herz schwer, wenn er daran dachte, daß das Leben selbst für die Glücklichen unter ihnen noch eine ganze Ration Schmutz bereithielt. Das Sicherheitsnetz der kleinen Rodriguez hatte bereits wenige Tage nach der Geburt versagt. Sein Blick schweifte über die Säuglinge verschiedener Rassen und Geschlechter, bis er an dem leeren Bettchen hängen blieb. Sein Herz schlug schneller.
»Hallo, Sergeant!«
Decker fuhr herum.
Officer Brian Harlow stand vor ihm. Er war seit gut drei Jahrzehnten Polizist, noch immer muskulös und körperlich fit, aber das Alter hatte Spuren hinterlassen.
»Wir haben die Parkplätze und die unmittelbare Umgebung dreimal abgesucht.« Er schüttelte den Kopf. »Keine Spur von einem roten Honda. Es ist noch dunkel. Farben lassen sich schwer erkennen. Aber wir machen weiter. Im Hellen wird’s besser. Soll ich eine Suchmeldung nach dem Wagen durchgeben?«
»Ja, tun Sie das.«
Harlow nickte. »Wird gemacht.«
»Hat sich bei der Bellson-Wohnung was getan?«
»Ich habe gerade mit der Streife gesprochen. Alles ruhig.«
»Und in der Wohnung selbst?«
»Nichts.«
»Brennt irgendwo Licht?«
»Alles stockfinster«, antwortete Harlow. »Wann, glauben Sie, kriegen wir den Durchsuchungsbefehl?«
»Vermutlich in einer Stunde«, sagte Decker. »Hollander konnte die ersten beiden Richter nicht erreichen. Den dritten hat er schließlich aus dem Bett geholt. Er ist jetzt auf dem Weg zu ihm.«
»Wie geht es der jungen Mutter?«
»Lourdes Rodriguez?« Decker seufzte. »Detective Dunn ist bei ihr.«
»Ich gebe jetzt die Suchmeldung durch.« Harlow klopfte Decker auf den Rücken. »Übrigens … Gratulation zu Ihrer Tochter.«
»Danke.«
Decker sah auf die Uhr. Darlene hatte Marie um Mitternacht zum letztenmal gesehen. Sollte Marie sich mit dem Baby aus dem Staub gemacht haben, hatte sie mittlerweile einen enormen Vorsprung. Er hatte einige Streifenpolizisten zur Bewachung ihrer Wohnung abgestellt. Bis jetzt ohne Erfolg.
Warum sollte eine Frau, die seit Jahren mit
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