Die Reise der Jona
Energieversorgung und ohne laufendes Rechnernetz hatten sie keine Möglichkeit, einen Druckverlust festzustellen oder das Loch zu lokalisieren. Es gab einfach zu viel, um das man sich Gedanken machen mußte, und zu wenig Leute, die sich Gedanken machen konnten.
Korie schwebte in den Fährhangar und ließ sich treiben, während er nachdachte. Vielleicht konnten sich die Beiboote als nützlich erweisen. Sie waren so konstruiert, daß man sie schnell in Betrieb nehmen konnte; vielleicht war es möglich, einen ihrer Rechner anzuzapfen und das Schiff von hier aus zu betreiben. Die Beibootrechner waren nicht so hoch entwickelt wie Harlie, aber sie waren immerhin schlau genug, um nicht in Planeten, Asteroiden oder Sonnen zu manövrieren. Er würde mit dem Leitenden Ingenieur darüber sprechen müssen. Es war immerhin eine weitere Möglichkeit.
Als er sich wieder in Bewegung setzte, wäre er beinahe mit Reynolds und MacHeath zusammengestoßen. Sie hatten ein bewußtloses Besatzungsmitglied zwischen sich und steuerten auf die Krankenabteilung zu. Korie nickte ihnen zu und beeilte sich weiterzukommen.
Die Schiffsmesse quoll von Männern und Frauen über, die in der Krankenabteilung keinen Platz mehr gefunden hatten. Einige waren bei Bewußtsein, die meisten nicht. Manche stöhnten leise. Während Kories Blicke durch den Raum schweiften, schleppten sich zwei weitere Leute hinein. Fontana, die Schiffsapothekerin, schwebte mit einer Injektionspistole in der Hand an ihm vorbei und begann, die am schwersten Verwundeten mit Sedativa zu versorgen. Sie warf einen Blick zu ihm: »Alles in Ordnung bei Ihnen?«
»Wird schon gehen. Sobald ich eine Gelegenheit habe, mich zu duschen und eine saubere Uniform anzuziehen. Wie steht es mit Ihnen?«
Sie schüttelte den Kopf. »Das hier ist eine einzige Katastrophe.«
Korie folgte ihr nach draußen und holte sie im Gang vor der Krankenstation ein.
Er senkte seine Stimme. »Wie schlimm sieht es aus?«
»Zwölf Tote. Mindestens sechs sind so schwer verletzt; daß es einem Wunder gleichkäme, wenn sie es schaffen würden. Außerdem sind zwei Quillas ausgefallen – der Rest befindet sich im Schockzustand. Ich mußte sie mit Medikamenten ruhigstellen. Ihr Zustand ist kritisch, und sie benötigen eine gründliche Rehabilitation. Wahrscheinlich brauchen wir die alle. Ich habe noch nie zuvor derartige Verletzungen gesehen. Ich hätte gedacht, daß unsere Schilde mehr aushalten…«
»Wir wurden nicht beschossen. Es war ein Welleneffekt.«
»Besser, wenn es ein Strahl gewesen wäre. Mit Disruptorwunden können wir umgehen.«
»Ich werde es mir für das nächste Mal merken.« Korie senkte die Stimme: »Was ist mit der Ärztin?«
Fontana zuckte die Schultern. »Unzerstörbar.«
»Haben Sie genügend Hilfe?«
»Nein… aber wir kommen zurecht. Um die Wahrheit zu sagen – wir können sowieso nicht viel tun. Entweder sie erholen sich… oder sie sterben.«
Korie stellte die Frage, die er bisher vermieden hatte: »Was ist mit Kapitän Lowell?«
Fontanas Gesichtsausdruck verriet alles. Sie blickte Korie in die Augen und sagte: »Es tut mit leid, Sir. Ich schätze, Sie werden uns nach Hause bringen müssen.«
Korie war erstaunt, daß er überhaupt keine Trauer spürte. Ich sollte jetzt etwas fühlen, dachte er. Oder nicht? »Ich… ähhh, ich habe es befürchtet.«
»Darf ich Ihnen einen Rat geben? Kostet Sie überhaupt nichts.«
Korie blickte sie an: »Schießen Sie los!«
»Gehen Sie in Ihr Quartier und machen Sie sich frisch. Ziehen Sie Ihre beste Uniform an. Und dann inspizieren Sie das Schiff noch einmal. Zeigen Sie sich so vielen Besatzungsmitgliedern wie möglich. Und lassen Sie sie wissen, daß Sie alles unter Kontrolle haben – selbst wenn es nicht so ist!«
»Ein guter Rat«, antwortete Korie. »Sobald ich die Zeit dazu finde…«
»Nein. Machen Sie’s sofort!« unterbrach ihn Fontana. »Dieses Schiff wird nirgendwohin fliegen. Hier geschieht nichts, das Ihre unmittelbare Aufmerksamkeit benötigen würde. Nichts, das auch nur entfernt so wichtig wäre, wie die Moral der Besatzung wieder aufzurichten. Die Leute wissen, daß es den Kapitän erwischt hat. Sie wissen, daß Sie die Verantwortung für das Schiff übernommen haben. Sie müssen ihnen zeigen, daß Sie bereit sind, das Schiff und die Mannschaft nach Hause zu bringen.«
Korie hielt inne.
Er blickte Fontana an, und ihm wurde bewußt, was sie gesagt hatte. Es klang wie direkt aus der Akademie. Aus dem allerersten Jahr.
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